Aral Histories
Geschichte und Erinnerung im Delta des Amudarja
Askar Dzhumashev, Olaf Günther, Thomas Loy
Das Verschwinden des Aralsees ist eine der größten Umweltkatastrophen des 20. Jahrhunderts. Vor allem in den 1980er Jahren erregte es weltweite Aufmerksamkeit. Bis auf wenige Ausnahmen ist die bisherige Forschung in Bezug auf den Aralsee jedoch vornehmlich auf naturwissenschaftliche, ökologische oder medizinische Themen konzentriert. Die Menschen der südlichen Aralregion, ihre Geschichte und Kultur sowie ihre Erfahrungen und Strategien im Umgang mit der Katastrophe – oder mit den Gegebenheiten des Lebens im Delta in „normaleren“ Zeiten – sind dabei weitgehend unbeleuchtet geblieben. Im hier vorgelegten Sammelband Aral Histories – Geschichte und Erinnerung im Delta des Amudarja werden verschiedene historische und kulturwissenschaftliche Beiträge von Wissenschaftlern aus Karakalpakstan und von ForscherInnen vorgelegt, die in Deutschland tätig sind. Alle hier versammelten Texte befassen sich mit der neueren und jüngsten Geschichte des Amudarjadeltas und greifen dabei vor allem auf eine bewegliche und flüchtige Ressource des Wissens zurück: die Erinnerung.
Selbst in der ehemaligen Hafenstadt Mojnaq erinnern sich heute nur noch die Ältesten an den See. Der einstige Kurort war bekannt für sein angenehmes Seeklima, selbst im zentralasiatischen Hochsommer. Jetzt gibt es hier seit Jahren fast täglich Sand- und Salzstürme, vor denen sich die Bevölkerung kaum schützen kann. Zu Sowjetzeiten lebten hier über 20.000 Menschen und die örtliche Fischereiindustrie belieferte die gesamte Sowjetunion. Davon zeugen heute nur noch Fabrikruinen und Schiffsgerippe im Wüstensand. Das Leben der Menschen der übrigen Deltaregion war seit jeher enger an den Fluss und sein Kanalsystem angepasst. Die meisten dort kennen den See nur aus dem Schulunterricht. Von seinem Verschwinden erfuhren sie erst in den späten 1980er Jahren, als dieses längst nicht mehr aufzuhalten war. Auch dass auf den Kanälen, die noch immer das Land durchziehen, vor nicht allzu langer Zeit große Segelschiffe und Lastkähne fuhren, ist heute kaum mehr vorstellbar. Bilder aus den 1930er Jahren muten da an wie aus einer anderen Welt; und sie sind es auch. Der Sammelband versteht sich als eine Einführung in die Geschichte und Lebenswelt einer und radikalen naturräumlichen und gesellschaftlichen Änderungen unterworfenen und bisher kaum beachteten Deltaregion im 20. und 21. Jahrhundert und präsentiert neben historischem und aktuellem Bild- auch seltenes Kartenmaterial aus Karakalpakstan.