Aufruhr des Geistes wider die Natur
Eine Phänomenologie archaischen Bewusstseins
Frank Bruno Wild
Die Menschen in der Welt des Paläo- (Altsteinzeit) und Neolithikums (Jungsteinzeit) sind das vornehmliche Thema dieses Buches, welches zugleich Aspekte der pleistozänen Bewusstseinsentwicklung ansprechen will. Der Autor orientiert sich dabei an Vorgaben der kognitiven Archäologie (Steven Mithen, Chris Stringer), der Bewusstseinsforschung (Jerry Fodor, Endel Tulving, Gerhard Roth) und der modernen Evolutionsbiologie (Steven Pinker, Josef H. Reichholf, E.O. Wilson). Das wesentliche Augenmerk liegt auf der phänomenologischen Erschließung eines Zeit- und Risikobewusstseins, wie es sich in den letzten drei Mio. Jahren entfaltet haben mag. Der Autor unterteilt die Bewusstseinsentwicklungshistorie in drei ineinander übergreifende zentrale Bereiche. Beginnend mit dem witternden Bewusstsein des Australopithecus, Homo habilis, Homo erectus, das den Aufruhr des Geistes wider die Natur initiierte, vollzog sich dieser Prozess weiter zum Beobachter-Bewusstsein des jagenden H. heidelbergensis und Neandertalers. Mit dem schamanischen Bewusstsein des Cro-Magnon-Menschen, das im Zentrum der Betrachtungen steht, wird bereits die Endphase sichtbar, die sich bis heute hinzieht, wenn wir an die religiösen Weiterungen im buddhistischen und christlichen Mystizismus denken. Die hominine Entwicklung, so lautet die basale Aussage dieser Ausführungen, schritt in sich zwar ständig steigernden, aber zunächst kaum merklichen, zeitlupenartigen Rhythmen der transformierenden Neugier voran. Vom witternden, noch weitgehend instinktgebundenen Aasfresser seinen Ausgang nehmend, wurde bewusst und gezielt in einer weiteren Phase das zu jagende Wild taxiert, dessen Routen und jahreszeitliche Verhaltensweisen es zu erkunden galt. Schließlich gelang der Sprung in eine transzendente Nebenwelt der Geister und Dämonen, welche der Schamane erschloss und deutbar machte (schamanischer Totemismus). Hier ging ein weiblich geprägter Totemismus (Big wife-System) einem männlich geprägten (Big man-System) voran. Bei diesen Aktivitäten wurde das menschliche Bewusstsein auf das Äußerste angespornt und strapaziert, sodass es im Laufe einiger Jahrmillionen die von St. Mithen so genannte „cognitive fluidity“ ausbildete. Jene bewegliche Intelligenz führte zu einer universellen adaptiven Radiation (adaptive Radiation=Ausbreitung der Abkömmlinge einer Art in verschiedenen ökologischen Nischen), indem von den vielen homininen Linien letztlich nur noch eine Art verblieb, die sich jedoch auf der gesamten Erde ausgebreitet hat. Dabei verschmolz das menschliche Zeit- und Risikobewusstsein mit den Bestrebungen der transformierenden Neugier zu einem unerhörten evolutiven Geschehen: der Herausbildung einer Spezies, die sowohl retro- als auch prospektiv denken und in die Zukunft handeln kann.