Autoren Biografie
Thomas Kling (1957–2005) lebte in Düsseldorf, Wien, Finnland und viele Jahre in Köln. Zuletzt wohnte er auf der Raketenstation Hombroich in der Nähe von Neuss. Neben anderen Auszeichnungen erhielt er 1990 das Rolf-Dieter-Brinkmann-Stipendium der Stadt Köln, 1993 den ersten Else-Lasker-Schüler-Preis für Dichtung und 2001 den ersten Ernst-Jandl-Preis. 2005 wurde ihm der d-lit-Preis der Stadtsparkasse Düsseldorf zuerkannt. Von ihm erschienen „erprobung herzstärkender mittel. gedichte" (1986), „geschmacksverstärker. gedichte 1985–1988" (1989), „brennstabm. gedichte" (1991), „nacht. sicht. gerät. gedichte" (1993), „morsch. gedichte" (1996), „Itinerar" (1997), „catull: das haar der berenice" (1997), „wolkenstein. mobilisierun'. ein monolog" (zusammen mit Ute Langanky, 1997) und „gelände. camouflage" (zusammen mit Ute Langanky, 1998). Zuletzt erschienen bei DuMont „Fernhandel. Gedichte", mit CD (1999), „Botenstoffe" (2001), „Sprachspeicher. 200 Gedichte auf deutsch vom achten bis zum zwanzigsten Jahrhundert" (2001) und „Sondagen. Gedichte", mit CD (2002), „Interview mit Karl-Heinz Müller", in der Reihe „Unerzählte Kunstgeschichte des Rheinlandes“ (2004), „Auswertung der Flugdaten" (2005) und „Gesammelte Gedichte" (2006).
Rede zur Beerdigung von Thomas Kling am 15. April 2005 auf dem Friedhof von Neuss-Holzheim
Von Christian Döring
So sind wir Thomas oft begegnet. So haben wir Thomas Kling vom Umschlag seines letzten Buches vor Augen: Von einem Säulensockel vor altem Gemäuer, die Hand intonierend erhoben, den Mund vielleicht rezitierend geöffnet, – schaut er uns entgegen. Ein Säulenheiliger, wie ein Hugo Ball z.B., über den er bis zuletzt schrieb, dessen sicheres Gespür für das Magisch-Theatralische er bewunderte, mit dem er sich „in die innerste Alchemie des Wortes zurückziehen“ konnte. Sprachekstatiker beide. „Spiritueller Hardcore“ nannte er das in einem Brief. In seinem Buch Botenstoffe, und alle seine Bücher tragen schrille Signaltitel, gibt es uns Thomas Kling mit auf den Weg – da heißt es: „predigt er, kann es sein, dass die Leute glänzenden Auges in Scharen und von weit her kommen.“ Ich habe Thomas im Ohr – bis zum rauen Flüstern.
Als er seinen ersten Auftritt in den Wiener Margareten-Sälen, im Januar 1983, absolviert hatte, erkannte es die Dichter-Freundin Friederike Mayröcker: Ihr war „der Magier einer ins nächste Jahrtausend weisenden Sprachverwirklichung“ begegnet.
Von Anbeginn hat Thomas Kling seine Lyrik als „erprobung herzstärkender mittel“, als „geschmacksverstärker“, „brennstabm“ oder „nacht.sicht.gerät“ dem Publikum feinstens moduliert entgegengeschleudert. Thomas Kling hat eine Generation geprägt. Seine Lyrik ist, wie es dieser aufmerksame Beobachter alles Medialen gesagt hätte „ästhetisch-medienmäßig ein Quantensprung“.
Meine erste Begegnung mit diesem Furor poeticus im tatsächlich schwarz-gelben Wespenpullover fand während einer wegen Randalegefahr abgebrochenen Frankfurter Galerienlesung statt, von da an wurde ich bis zum Abschiednehmen sein Lektor – und allmählich ein Freund. Denn dieser Menschendurchschauer taxierte genauestens die Distanzen. Bellend harsch und unerbittlich bis verletzend konnte er sein, von Herzen besorgt und voller Anteilnahme am privaten Leben und dem des Verlages war er meistens. Und wer Thomas Klings Gedichte verlegen wollte, durfte nicht nur Gedichte drucken wollen, er hatte es mit einem immer intensiv präsenten Menschen zu tun.
Sein Nachlassbuch zu Lebzeiten ist „Auswertung der Flugdaten" geworden. Diese Flugdaten waren von Anfang an auf den Höhenflug ausgerichtet. Die deutsche Lyrik und mit ihr ein Teil deutscher Nachkriegsdichtung, hat Thomas Kling aus ihrer Lethargie gerissen. Seine mitreißenden Sprachinstallationen im Seziersound sind stilbildend geworden. Wir werden den Verlust solch vielfältigen Dichtertums erst noch zu ermessen haben: diese Virtuosität seiner Partituren, diese ekstatische Vitalität seiner Sprache, seines Sprachkörpers, dieser Motivreichtum, diese Einbeziehung ethnologischer und anthropologischer, geologischer und archäologischer Materialien, Argots, Fachsprachen und diese etymologische Selbstvergewisserung all unseres Sprechens; diese irritierend-provokanten Gesamtkunstwerke, weil sie Hören und Sehen, Schreiben und Sprechen miteinander zu konfrontieren wussten.
„Terraingewinn im Unbesprochenen“ verbuchte Thomas – so nannten es die Kritiker, die er genauestens beäugte, bewertete und bloßstellte. Solches war Bestandteil der mitunter täglichen Morgenanrufe dieses früh aufstehenden Spracherforschers, umgeben von seiner erlesenen Lyrikbibliothek und den Speziallexika bis hin zu den Pflanzen- und Vogelbestimmungsbüchern – draußen auf seiner und Utes Raketenstation, dieser Landschaft zwischen Kunst und Natur, die zu beiden gehörte.
Und in den vergangenen Jahren, vornehmlich in Italien oder Schweden, oder auch in New York, wovon sein wegweisendes Gedichttableau „Manhattan-Mundraum“ erzählt, begann sich der Name von Thomas Kling auch außerhalb der Dichterkreise international herumzusprechen, machten sich die Übersetzer ans Werk, angestachelt vom „herausfordernsten und komplexesten Dichter der deutschen Gegenwart“ wie es eine amerikanische Zeitung formulierte. Gleichwohl, hier in Deutschland, am Ort der Akademie für Sprache und Dichtung, mochte man es nicht in Erwägung ziehen, den Lyriker und Essayisten, den Übersetzer und Förderer vieler anderer Dichter, mit der höchsten deutschen Literaturauszeichnung zu bedenken. Das hat Thomas Kling gekränkt.
Thomas Kling personifiziert den lustvollen Gegenkanon der literarischen Tradition, seine, diese Klingsche Inventarisierung deutscher Gedichte vom achten bis zum zwanzigsten Jahrhundert, hat er in einem, in seinem „Sprachspeicher" versammelt: Hier zeigt sich der Klingsche Wissensspeicher und Bildspeicher, der Poeta doctus, der der Entstehungsgeschichte des, wie er es nannte „vielzüngigen“ Gedichts, das er selber pflegte, gleich mit auf der Spur ist, als Exeget seiner selbst. Genauso wie in seinem Buch „Botenstoffe": Es sind essayistische, archäologische, traditionserforschende Parallelbücher, in denen die barocken Kronzeugen, die dadaistischen Heroen oder die Wiener Schule herbeizitiert werden. Ein überreich verflochtener Ahnenbaum des Dichterhistorikers, der sich erlauben durfte zu fordern: „Das Gedicht hat Anspruch darauf, Ansprüche stellen zu können.“ Das Klingsche Gedicht ist „Erkenntnisinstrument“ und immer „voll Stoff schwappend“.
Es ist „Fernhandel", es sind „Sondagen" – wie die jetzt vorletzten Bücher es benennen: Sprach- und Geschichtsreisen ins Epizentrum, in den Katastrophenbeginn des vergangenen Jahrhunderts, der Großväterkrieg von 14/18 hat Thomas brennend beschäftigt. Es sind Grabungen im „textadersystem“ und Spurensicherungen im Terrain von Gedicht und Gedächtnis, Natur und Historie. Hier war Thomas Kling, dieser Assoziationstechniker im scheinbar Entlegendsten und Abwegigen unserer Kultur mit seiner verblüffenden rasanten Kombinatorik wie kein anderer zu Hause. „Immer abseits der Bahn, immer abseits“ würde er uns ermuntern, in „Wörterverantwortung & Wörterlust.“
Adieu, Thomas, Freund, Dichter, Autor von Verlagen, deren Ansehen du geprägt hast.
Den Dialog mit dem Tod – geführt in den letzten, deinen Körper kunstvoll unterkühlt sezierenden Gedichten – konntest du nicht gewinnen. Deine Stimme ist verstummt, aber es gibt den Echoraum deines Werkes; jener bald zwanzig Bücher, in denen sich deine Arbeit auch über die Gattungsgrenzen hinweg, in der Verbindung mit der Malerin und Fotografin, der Künstlerin und Weggefährtin Ute Langanky, verwirklicht hat.
Das Andenken der Anwesenden und all der vielen, die heute in ihren Gefühlen und Gedanken mit uns hier sind, vergegenwärtigt den Dichter Thomas Kling, dessen Tod den bewunderten, den geschätzten, den geliebten Menschen geraubt hat. Nicht aber sein Werk, das wir – nur so werden wir Thomas Kling gerecht – bergen müssen und in der dichterischen Erinnerung aufheben wollen. Wir haben jetzt die Flugdaten auszuwerten.