Bedingungsloses Grundeinkommen
als Antwort auf die Krise der Arbeitsgesellschaft
Manuel Franzmann
Hannah Arendt prophezeite im Jahre 1958 angesichts erster Anzeichen von Automation: ‚So mag es scheinen, als würde hier durch den technischen Fortschritt nur das verwirklicht, wovon alle Generationen des Menschengeschlechts
nur träumten, ohne es jedoch leisten zu können. (…) Die Erfüllung des uralten Traums trifft wie in der Erfüllung von Märchenwünschen auf eine Konstellation, in der der erträumte Segen sich als Fluch auswirkt. Denn es ist ja eine Arbeitsgesellschaft, die von den Fesseln der Arbeit befreit werden soll, und diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um derentwillen die Befreiung sich lohnen würde. (…) Was uns bevorsteht, ist die Aussicht auf eine Arbeitsgesellschaft, der die Arbeit ausgegangen ist, also die einzige Tätigkeit, auf die sie sich noch versteht. Was könnte verhängnisvoller sein?‘ (Vita Activa, Einleitung)
Ende der 1970er Jahre griff Ralf Dahrendorf angesichts des Phänomens der strukturellen Massenarbeitslosigkeit diese Vorhersage auf. Die in ihr enthaltene Diagnose einer durch den technischen Fortschritt heraufbeschworenen
‚Krise der Arbeitsgesellschaft‘ wie auch das als Lösung vorgeschlagene bedingungslose Grundeinkommen rückten erstmals in den Fokus intellektueller und sozialwissenschaftlicher Debatten. Allerdings bildeten sich dagegen, wie es Arendt erwartet hatte, auch mächtige kulturelle Abwehrformationen, welche die tief sitzende
Wertbindung an Erwerbsarbeit als Normalmodell ähnlich wie psychodynamische Abwehrmechanismen ‚trickreich‘ zu verteidigen suchten.
Die traditionelle Leistungsethik stellt ein zentrales Element der Wertbindung dar, die demokratisch verfasste Industrienationen zusammenhält und für die die protestantische Ethik, wie sie von Max Weber in seiner berühmten
Schrift analysiert wurde, historisch ein bedeutsamer Wegbereiter war. Diese auf Gleichheitsvorstellungen beruhende, mittlerweile säkularisierte ‚Berufsethik‘ ist bislang ein gemeinsames Band, das auch über den Interessengegegensatz
von Kapital und Arbeit hinwegreicht. Es ist der zentrale Legitimationsglaube (M. Weber), der der Verteilung der erwirtschafteten Reichtümer, dem Sozialversicherungssystem, den sonstigen sozialstaatlichen Institutionen, der gesellschaftlichen Anerkennung und anderem mehr zugrunde liegt.
In den 1980er und 1990er Jahren behielt diese Ethik die Oberhand und es gelang der sich um sie herum bildenden kulturellen Abwehrformation, die virulente
Infragestellung dieser Ethik zu verdrängen und sie trotz der perennierenden Massenarbeitslosigkeit wie ein Heiligtum unter Tabu zu stellen – bis zu Schröders ‚Agenda 2010‘ und der mit ihr erfolgenden Einführung der sogenannten ‚aktivierenden Arbeitsmarktpolitik‘ in Deutschland. Mit dieser politischen Zäsur zeigte sich, dass das fortgesetzte Festhalten an Erwerbsarbeit als Normalmodell einen hohen Preis hatte und zu ‚Reformen‘ zwang, welche die Gesellschaft tief spalteten, denn diese Arbeitsmarktpolitik institutionalisierte unter anderem eine Kultur des Misstrauens gegenüber Arbeitslosen.
Letztere wurden als Betroffene der Massenarbeitslosigkeit zugleich zu ihren Sündenböcken gemacht und dadurch ruhig gestellt. Die Berechtigung dieser Deutung wird nicht zuletzt dadurch beglaubigt, dass man vor der Epoche der Massenarbeitslosigkeit jahrzehntelang ohne eine solche Misstrauens- und Kontrollkultur gut auskam und anstelle massenhaften ‚Sozialmissbrauchs‘ eher die verbreitete Scham von Arbeitslosen, berechtigte Unterstützungsleistungen in Anspruch zu nehmen, das Problem war.
In Reaktion auf die Schröderschen Arbeitsmarktreformen, die viele Menschen erschreckt haben, ist es zu einer Renaissance der Diskussion um das Grundeinkommen und die ‚Krise der Arbeitsgesellschaft‘ gekommen, die eine diskursive ‚Antithese‘ bildet, in der sich nun nicht allein Intellektuelle und Sozialwissenschafter sondern zuvörderst engagierte Bürger beteiligen, in einer nie dagewesenen Breite und auch in größerer Nähe zur politischen Realisierung. Im Vordergrund stehen unüber-sehbar Wertfragen, insbesondere die Frage, welchen Stellenwert der Autonomie eingeräumt werden soll. Gegenüber der weitreichenden Autonomie, wie sie durch ein bedingungsloses Grundeinkommen als einer ‚Demokratisierung der geistesaristokratischen Muße‘ ermöglicht würde, erheben die Vertreter der ‚Arbeitsgesellschaft‘ Einwände, die vor allem ein Autonomiemisstrauen
bekunden, sodass sich die Frage stellt, wie viel Autonomie können und wollen wir uns und unseren Mitmenschen zumuten und zutrauen? Haben traditionelle
Sprichwörter der ‚Arbeitsgesellschaft‘ wie ‚Müßiggang ist aller Laster Anfang‘ recht oder kommt darin umgekehrt genau die Borniertheit zum Ausdruck, die Arendt im Auge hatte, wenn sie sagte ‚diese Gesellschaft kennt kaum noch vom Hörensagen die höheren und sinnvolleren Tätigkeiten, um derentwillen die Befreiung sich lohnen würde‘?