Beschriebene Gesichter
Ekphrastische Porträts in der Erzählkunst des Poetischen Realismus
Franziska Andrea Irsigler
Das menschliche Antlitz umfasst mehr als die Summe seiner Teile: Sei es die Faszination eines geheimnisvollen Lächelns oder die Frage nach der Lebensgeschichte dargestellter Personen – Porträtdarstellungen berühren auf eine besondere Weise. Ist nun das ‚Porträt‘ im klassischen Sinne die bildliche Darstellung des menschlichen Erscheinungsbildes und der Persönlichkeit, so entfernt sich die (Porträt-)Ekphrase von der Unmittelbarkeit des Bildes. Der Gesamteindruck des bildkünstlerischen Werkes wird zugunsten einer textuellen Fokussierung bestimmter Elemente aufgegeben; an die Stelle der Darstellung tritt die Beschreibung.
Die Studie „Beschriebene Gesichter“ untersucht die Funktionen dieser Porträtekphrasen in der Literatur des Poetischen Realismus, einer bemerkenswerten Epoche für Bild-Text-Verbindungen, nachdem 1839 mit der Erfindung der Daguerreotypie/Photographie der Bildenden Kunst ein Medium zur Seite gestellt wurde, das die Frage nach ähnlicher oder idealer Darstellungsweise neu aufwarf. Auf welche Weise verarbeitete die Literatur die Konkurrenz dieser beiden Medien? Was passierte bei der Übertragung bildlicher Darstellungsformen in Textzeichen? Bildeten sich Schwerpunkte (neu) heraus, wurden Akzente neu gesetzt? Welche Funktionen besitzen die Ekphrasen für den Text, in dem sie als dekoratives Attribut, interessantes Nebenmotiv oder bestimmendes Leitmotiv auftauchen können? Aus dem Versuch, durch eine systematische Auswertung des vollständigen Oeuvres zahlreicher bekannter wie unbekannter Realisten, von Theodor Fontane und Adalbert Stifter bis hin zu Julius Grosse und Moritz G. Saphir, Antworten auf diese Fragen zu finden, ergeben sich auch neue theoretische Zugänge zur Interpretation der einzelnen Werke.