BÖSES VORARLBERG Lesebuch
Mörder, Schurken und Banditen 1419-1953
Wolfgang Scheffknecht
Das „Böses Vorarlberg-Lesebuch“ präsentiert Geschichten von
„Mörder[n], Gauner[n] und Ganoven vom Spätmittelalter bis in die
Mitte des 20. Jahrhunderts“. Anders als bei anderen Lesebüchern
geht es hier nicht darum, die wechselnden Bilder sichtbar zu machen,
die sich die Bewohnerinnen und Bewohner Vorarlbergs im
Laufe der Zeit von ihrem ‚Ländle‘ oder ihrer engeren Heimat gemacht haben.
– Jedenfalls nicht vordergründig. In den gesammelten Geschichten begegnen uns vielmehr diejenigen, die von der
Gesellschaft verfolgt, sanktioniert, bestraft, ausgestoßen und – im
Extremfall – hingerichtet wurden, weil sie in deren Augen die Ordnung
gestört oder gefährdet haben. In ihren Geschichten werden
„die Schattenseiten und Konfliktlinien“ der jeweiligen Gesellschaft
sichtbar. „Kriminalität und abweichendes Verhalten sind“ auch im
Falle Vorarlbergs, wie die moderne Forschung betont, „ein wichtiges
Abbild gesellschaftlicher Zustände“.
Daraus, wie eine Gesellschaft
Verbrechen definiert und wie sie deviantes Verhalten sanktioniert,
lassen sich wertvolle Rückschlüsse auf ihre jeweiligen Ordnungsvor-
stellungen gewinnen. Könnte man eine historische Kriminalstatistik
Vorarlbergs erstellen, was an dieser Stelle nicht möglich ist, ergäbe
sich gewissermaßen eine „Fieberkurve“ der „soziale[n]
Krankheitszustände“ dieses Landes.
In den präsentierten Geschichten werden Geschehnisse berichtet,
die eine zeitliche Streuung von einem halben Jahrtausend aufweisen.
Dadurch wird u.a. deutlich, dass „‚Kriminalität‘ […] keine soziale Wirklichkeit
ui generis, sondern kulturell und gesellschaftlich
konstruiert“ ist, dass sie „historisch variabel“ ist.3 Und so erscheinen
in den Geschichten abweichende Verhaltensweisen als Verbrechen,
die nach unseren Maßstäben keinesfalls als kriminell einzustufen
wären. Um nur ein Beispiel zu nennen: Über weite Strecken der Vormoderne
gab es noch keine „Trennung zwischen Sünde und Verbrechen“.
Ehebruch und viele Formen von religiöser Devianz erschienen
den Zeitgenossen daher als strafrechtlich zu verfolgende Delikte
und wurden teilweise mit härtesten und grausamsten Strafen sanktioniert.
Erst allmählich kam es zu einer „Säkularisierung des Kriminalitätsbegriffs“.
Die meisten aufgenommenen Geschichten stammen aus historischen
Darstellungen. Der zeitliche Horizont ihrer Entstehung reicht
vom ausgehenden 19. bis ins frühe 21. Jahrhundert. In sie sind – in
vielen Fällen wohl auch unbewusst – zeitbedingte Werturteile der
jeweiligen Verfasserinnen und Verfasser eingeflossen. (…) (…)