Bordgespräche
Interviews an verwunschenen Orten in Mecklenburg-Vorpommern
Jörg W Ziegenspeck
Die in dieser Schrift skizzierten drei Portraits basieren auf intensiven Gesprächen, die am Rande eines Segeltörns geführt wurden. Gisela und Jörg W. Ziegenspeck ging es darum, die deutschen Küsten Mecklenburgs und Vorpommerns kennen zu lernen. Siebzig Tage nahmen sich beide Zeit, um von der Lübecker Bucht über Rostock und Stralsund die großen Inseln Rügen, Usedom und Wollin zu besuchen, wobei auch das „Festland“ nicht ausgespart wurde. Dabei begegneten sie vielen Menschen, die bereitwillig über ihr Leben, ihre Herkunft, die gemachten Erfahrungen und gewonnenen Erkenntnisse Auskunft gaben. Die Bedeutung solcher Begegnungen kann verallgemeinert werden: Kommunikation will geübt sein, wenn wir uns im Ausland bewegen; dort erwartet man freundliche, interessierte und vorurteilsfreie Gäste, die Land und Leute akzeptieren und den Menschen in herzlicher Aufgeschlossenheit entgegentreten. Sprachliche Kompetenz kann sehr hilfreich sein, ersetzt aber nicht die gebotene Sensibilität und Höflichkeit, die beide auch nonverbal zum Tragen kommen. Bereisen wir Küsten des eigenen Landes, fällt es leichter, mit den Bewohnerinnen und Bewohnern ins Gespräch zu kommen, aber es herrschen die gleichen Erwartungen wie im Ausland: Achtung, Respekt und Anerkennung wollen auch hier gezeigt werden. Wenn dann aber erste Brücken geschlagen sind, ist es im Inland natürlich sehr viel leichter, miteinander in ein vertiefendes Gespräch zu kommen, als im Ausland. „Ossis“ und „Wessis“ – diese Zuschreibungen stehen letztlich auch für gewachsene Unterschiede, wie sie zwischen Bewohnern von Bremen und Hamburg kaum relevant sein dürften, wohl aber für Begegnungen in Mecklenburg-Vorpommern. Zeigt man Interesse für die ganz anderen Bedingungen der Persönlichkeitsentfaltung während der Nachkriegszeit in einem restriktiven politischen System, kann das Eis schnell gebrochen werden – und dann kann es zu einem fast geschwisterlichen Gedanken- und Meinungsaustausch kommen, den wir doch alle begrüßen. Und so waren die ausführlichen Gespräche mit der Pastorin aus Rerik, dem Bürgermeister und seiner Frau aus Kröslin und dem Ingenieur und Sozialwissenschaftler aus Lassan Schlüsselerlebnisse für die Segler aus Hamburg, die ihnen offenbarten, wie Menschen vor und nach der politischen Wende sich selbst verstanden, ihre Welt zu analysieren wussten und mit der jeweiligen Situation individuell, kritisch und zukunftsbezogen umzugehen gelernt hatten. Gleichzeitig dürfen die Gesprächspartner als Zeugen ihrer Zeit in unserem nun wiedervereinigten Land angesehen werden, die aus unterschiedlichen Perspektiven zu berichten und die Ereignisse zu bewerten wissen. Und dennoch war diese Reise eine in ein – nach wie vor – „fernes Land“, zwar nicht mehr in dem Maße, wie es einst (1964) von den ZEIT-Redakteuren Marion Gräfin Dönhoff, Rudolf Walter Leonhardt und Theo Sommer erlebt wurde, die zwei Wochen auf Expedition durch Ostelbien gingen, den „spezifischen DDR-Geruch“ einatmeten und „eine gewisse Tristesse“ angesichts dieses „Freilichtmuseums deutscher Vergangenheit“ ausmachten und verspürten. Sie redeten damals mit SED-, VEB-, LPG- und FDJ-Funktionären – meist freilich an ihnen vorbei. Gisela und Jörg W. Ziegenspeck reisten dagegen sehr entspannt, unbeschwert und heiter durch wunderschöne Seelandschaften. Doch bei den Gesprächen hier und da merkte man rasch, dass noch ein langer Prozess vonnöten sein wird, damit wirklich zusammenwächst, was zusammengehört (Willy Brandt 1989) und nachbarschaftliche Nähe entsteht. Die drei Gesprächsprotokolle mögen als Beitrag zu diesem anhaltenden und notwendigen Integrationsprozess verstanden werden. – Damit wäre dann auch die Absicht verraten, mit der der jeweilige Dialog gesucht und dankenswerterweise gefunden wurde.