Das andere Infrastrukturdefizit: Nachhaltigkeit
Die menschenrechtliche und ökologische Perspektive
Die Ziele für die nachhaltige Entwicklung (Sustainable Development Goals, SDG) und die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung bilden einen Katalog global vereinbarter Prioritäten, die für alle Länder von wesentlicher Bedeutung sind. Eines der darin formulierten
Ziele ist eine nachhaltige, bezahlbare, für alle zugängliche und widerstandsfähige Infrastruktur. Der Infrastrukturfinanzierungsbedarf für den Zeitraum bis 2030 wird auf 90 Billionen US-Dollar und die jährliche Finanzierungslücke in den Entwicklungsländern auf bis zu 1,5 Billionen US-Dollar geschätzt. Um diese Lücke zu schließen, regen die multilateralen Entwicklungsbanken (Multilateral Development Banks, MDB) an, verstärkt und vorrangig private Finanzierungsmodelle zu nutzen. Die G20-Staaten arbeiten unterdessen an einem Fahrplan, der Infrastrukturprojekte als Anlageklasse behandelt und dazu beitragen soll, Investitionen in Infrastruktur zu standardisieren und das Interesse institutioneller Anleger zu wecken.
Die eilige Planung und Realisierung von Infrastrukturen – in manchen Ländern in Form groß angelegter regionaler Infrastrukturpläne und Mega-Infrastrukturprojekte – wirft eine Reihe von Fragen auf: Welche Arten von Infrastruktur werden entwickelt, und wessen Bedürfnisse werden damit bedient? Wer sind dabei möglicherweise die Verlierer? Welche Auswirkungen ergeben sich für den Verlauf der weiteren Entwicklung insgesamt? Werden bei der Konzeption von Mega-Infrastrukturprojekten und bei Finanzierungs- und Investitionsentscheidungen nicht nur Finanzierungslücken, sondern auch die ökologischen und menschenrechtlichen Defizite ausreichend berücksichtigt, und sind die jeweiligen Länder sich ihrer internationalen menschen- und umweltrechtlichen Verpflichtungen bewusst?
Diese Gemeinschaftspublikation des OHCHR und der Heinrich-Böll-Stiftung widmet sich der Frage, was sich gewinnen lässt, wenn die menschenrechtliche und die ökologische Dimension explizit in die Planung und Realisierung von Mega-Infrastrukturvorhaben einfließen und welche Folgekosten entstehen, wenn dies nicht geschieht. Die Untersuchung stützt sich dabei auf Erfahrungen mit Mega-Infrastrukturen in den Bereichen Energie, Verkehr und Wasser. Relativ ausführlich werden dabei zwei entscheidende Gesichtspunkte der Infrastrukturentwicklung unter die Lupe genommen: die rechtlichen Rahmenbedingungen für internationale Investitionen und die sich wandelnde Finanzierungslandschaft bei der Planung und Realisierung von Infrastrukturvorhaben.
In dieser Publikation werden die Begriffe „Mega-Infrastruktur“ und „Infrastruktur“ synonym verwendet; sofern nicht ausdrücklich anders angegeben, stehen im Mittelpunkt der Untersuchung allerdings Mega-Infrastrukturprojekte und die Risiken, die mit der Konzeption, dem Bau und der Finanzierung solcher Projekte einhergehen