Das Geisterschiff
Margareth Obexer
Manchmal gibt es Wunder in der Theaterwelt. Es erscheinen junge Menschen, zugleich bescheiden und furchtlos, die sich an die großen Themen der Theatergeschichte heranwagen. So Margareth Obexer, die den Stoff der griechischen Tragödien von Neuem befragt und uns mit einer neuen Art von Tragödie konfrontiert: Die Welt, in der wir leben, kann die Tragödien unserer Zeit in mediatisierter Form darstellen, sie bleiben uns aber fern, erreichen uns nicht wirklich. Wir nehmen eine kurze Zeit Anteil, fühlen uns aber machtlos und beschäftigen uns wieder mit unserem Alltag, als wäre nichts gewesen. Mit ihren Stücken zwingt Margareth Obexer die Tragödie auf die Bühne zurück und zeigt, wie präsent ihr Stoff in der heutigen Welt ist.
„Das Geisterschiff“ erzählt von einer Geschichte, die sich im Dezember 1996 an der sizilianischen Küste abspielte. Damals ertranken vor der Südküste Italiens 283 Flüchtlinge, deren Tod jahrelang verschwiegen wurde. So spukte in diesem Gebiet die Legende eines „Geisterschiffes“ herum, dessen Existenz und Untergang erst sechs Jahre später von einem italienischen Journalisten aufgedeckt wurde. Dieser Vorfall bildet die Grundlage für ein Theaterstück, in dem – im Sinne der antiken Tragödie als Austragungsort von Konflikten zwischen Menschen und Göttern – Menschen andere Menschen in einer solchen Art behandeln, dass sie gegen das göttliche Gesetz verstoßen. Nicht nur werden – wie bei Antigone – die Toten nicht mehr bestattet, sondern ihr Tod selbst und ihre vorherige Existenz werden einfach negiert. Weder pathetisch noch belehrend stellen die Dialoge von Margareth Obexer, von Leyla Rabih inszeniert, grundsätzliche Fragen an eine Kultur und eine Politik, die ihre eigenen moralischen Werte nicht mehr zu erkennen vermögen.
Margareth Obexer, geboren 1970 in Südtirol/Italien, lebt in Berlin. Sie studierte Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft, Philosophie, Theaterwissenschaft und Romanistik in Wien und Berlin. Margareth Obexer ist Autorin von Theaterstücken, Hörspielen und Erzählungen, sie bearbeitet und übersetzt Texte für Hörspiele. Sie arbeitete als Gastdozentin für szenisches Schreiben an der Universität der Künste, Berlin und ist freie Redakteurin für die literarische Seite des Wochenmagazins „Freitag“. Ausgewählte Stücke sind: „Gelbsucht“, „Offene Türen“, „F.O.B“, „Decapitation strike“, „Das Risiko“, „Von Kopf bis Fuß“. Die Hörspielproduktion „Die Liebenden“ (WDR) wurde mit dem zweifachen Slábbész-Preis für Text und Regie an der internationalen Hörspielautorentagung in Rust ausgezeichnet. Margareth Obexer war unter anderem Stipendiatin des Literarischen Colloquiums Berlin und der Akademie der Künste. 2004 erhielt sie ein Stipendium der Akademie Schloss Solitude.