Décadence und Visualität in drei Romanen Paul Leppins: Daniel Jesus, Severins Gang in die Finsternis und Blaugast
Constanze Derham
Der Prager Schriftsteller Paul Leppin (1878–1945), Autor von Romanen, Lyrik, Dramen und Feuilletons, gehört zu den weniger bekannten Autoren der deutschsprachigen Prager Literatur des späten 19., frühen 20. Jahrhunderts. Galt er zunächst aufgrund seines bohèmehaften Lebensstils und der tabubrechenden Thematisierung von Sexualität in seinen Texten als enfant terrible des Prager Literaturbetriebs, wurde er in der Zwischenkriegszeit in den Rang eines Klassikers der deutschsprachigen Literatur aus Prag erhoben. Die bisher vor allem auf die Biographie fokussierte Rezeption Leppins ist eng mit der Auffassung einer Sonderstellung der Prager deutschen Literatur verbunden, die aus heutiger Sicht hinterfragt werden muss.
Die Arbeit analysiert drei seiner Romane – Daniel Jesus (1906/10), Severins Gang in die Finsternis (1914) und Blaugast (1930er Jahre, posthum erschienen) – im Hinblick auf ihre Zugehörigkeit zur literarischen Décadence um 1900. Das Motiv des Sehens und der Unschärfe, einhergehend mit einer fluiden Identität der Protagonisten, verknüpft diese Romane mit Diskursen der Jahrhundertwende um die Grenzen der Sprache und der Auflösung des Ichs. In der stereotypen Gestaltung der Frauenfiguren als unschuldige und selbstlose Kindfrauen oder gefährliche Verführerinnen bleiben die Romane in konventionellen Mustern verhaftet, während in der Referenz auf die Stadt Prag in Severins Gang in die Finsternis und Blaugast der Mythos der Stadt zum Teil bereits selbst thematisiert und ironisch gebrochen wird.
Die Verschiebung in der Rezeption Leppins – vom Skandalautor zum Klassiker – deutet zugleich die Wandlungsprozesse in der Struktur des Literarischen Feldes (in Anlehnung an Bourdieu) in Prag in den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts an.
Die Dissertation entstand am Institut für Slawistik der Universität Leipzig und wurde für den Otokar-Fischer-Preis 2018 nominiert.