Dementia praecox: Der Anfang vom Ende der Schizophrenie im Lehrbuch um 1900 von Weiler,  Johanna

Dementia praecox: Der Anfang vom Ende der Schizophrenie im Lehrbuch um 1900

Wie wahrscheinlich keine andere psychiatrische Erkrankung steht die Schizophrenie noch heute für Verrücktheit schlechthin. Doch in den letzten Jahren scheint ihr dieser Symbolstatus langsam abhanden zu kommen. Insbesondere die molekularbiologische Forschung lässt es fraglich erscheinen, ob hier von einer präzise abgrenzbaren Krankheitseinheit ausgegangen werden kann. Wie die Dissertation von Johanna Weiler anhand historischer Materialien aufzeigt, begleitet diese Kritik das Krankheitsbild Schizophrenie von Beginn an. Erstmals wurde das Krankheitsbild 1893 von dem Psychiater Emil Kraepelin unter dem Namen Dementia praecox beschrieben. Bereits unter diesem Namen stand sie dabei unter der Kritik, keine abgrenzbare Krankheitseinheit darzustellen. Kraepelin selbst fasste darunter zunächst eine Vielzahl gänzlich unterschiedlicher Zustandsbilder, die nur durch den ihnen gemeinsamen Endzustand der Verblödung als Krankheitseinheit zusammengehalten wurden. Kraepelins Bestreben reine Krankheitseinheiten zu beschreiben, wurde seinerzeit von dem Psychiater Alfred Hoche auch als eine „Jagd nach einem Phantom“ bezeichnet. Doch die allgegenwärtige Kritik an der Dementia praecox verhinderte keineswegs die weitere Verbreitung des Krankheitsbildes, welches nach 1908 auch unter dem von Eugen Bleuler erfundenen Namen Schizophrenie erfolgte. Im Anschluss an eine historische Epistemologie wird die Dementia praecox hier als historisch variierender Gegenstand betrachtet. Das Lehrbuch nimmt dabei als Medium der Entstehung und Verbreitung der Dementia praecox eine besondere Rolle ein. Die hiesige Arbeit zeichnet diesen Prozess entlang der stets überarbeiteten Lehrbuchauflagen nach. Entgegen einer gängigen Auffassung des Lehrbuchs als ein Ort, in dem Wissensordnungen zusammengefasst und didaktisch aufbereitet werden, lässt sich am Kraepelinschen Lehrbuch gerade dies nicht aufzeigen. Es unterlag einem beständigen Überarbeitungsprozess, der den aktuellen Forschungsstand aufgriff ohne dabei Rücksicht auf didaktische Ansprüche für die Lehre zu nehmen. Die vorliegende Analyse der Geschichte der Dementia praecox zeigt, dass das Lehrbuch nicht nur als Medium der Kanonisierung und Verbreitung von Wissen fungiert, sondern auch als ein Ort der Wissensproduktion betrachtet werden kann. Das Lehrbuch diente hier als Darstellungsraum und Mobilisierungsvorrichtung einer neuen Wissensordnung

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