Der Fall Grass
Ein deutsches Debakel
Wolfgang Beutin
Es ist ein seltenes Vorkommen, daß in Deutschland ein Schriftsteller zu seinem 80. Geburtstag durch einen Festakt in Anwesenheit des Bundespräsidenten geehrt wird, wie es dem Literaturnobelpreisträger Günter Grass 2007 geschah. Er gilt im In- und Ausland weithin als der repräsentative deutsche Gegenwartsautor, obschon er und sein Schaffen verschiedentlich im Mittelpunkt von Affären standen wie 2006, als er nach über sechzig Jahren seine frühere Zugehörigkeit zur Waffen-SS eingestand. In dieser literaturwissenschaftlichen Untersuchung werden Auszüge seines Werks (Romane, Reden) und Momente seines Wirkens während eines halben Jahrhunderts unter einer Mehrzahl von Aspekten analysiert: seine eigene Sicht der Autor-Rolle (Ablehnung von Utopie, Weltanschauung, Ideologie), Präzeptor-Mentalität, politische Einstellung, ‘Antipsychologie’ und Psychologie, Frauenbild, literarische Technik und Sprache, seine Förderer und Kritiker. Es wird nach dem Verbindenden zwischen den hier angedeuteten Facetten des Phänomens Grass gefragt und danach, ob sich ein organisierendes Zentrum ermitteln lasse, wovon Grundzüge seiner Schriften und seiner außerliterarischen Tätigkeit determiniert sind.