Der Mitmensch und der Gegenmensch im sozialen Leben der nächsten Zukunft
Leopold von Wiese
Der Versuch, aus den Erfahrungen der Gegenwart und Vergangenheit Schlüsse auf die wahrscheinliche Zukunft zu ziehen, ist nicht leicht lösbar. Die Frage, die ich bereits in der Schrift »Wandel und Beständigkeit im sozialen Leben« 1 aufgewor fen habe, welche Anhaltspunkte wir für das zwischenmenschliche Verhalten in den nächsten Jahrzehnten besitzen, türmt sich mit manchen Schwierigkeiten vor uns auf. Was ist das Beständige, was ist das Wandelbare? Ich kann nur das in meinem Büchlein Gesagte wiederholen 2: »Das Beständige ist das Wesentliche, das stets Beachtenswerte, wenn es auch durch menschliche Willkür oft in den Hintergrund gerückt wird. Das Wandelbare dagegen ist das Produkt der zeitlichen Umstände, der dahinschwindenden Stunde; es wird stets durch Neues beeinflußt . . . Jedem wandelbaren Geschehen sind aber Elemente des Beharrens beigemischt. « Jedoch sind die Eindrücke des vergänglichen Augenblicks zumeist so vorwiegend; unter ihrem Einflusse werden die Lehren der Vergangenheit so leicht dem Vergessen anheimgegeben, daß man glauben muß, die sehr große Mehrheit der Menschen lasse sich in ihrem Wollen und Fürchten fast nur vom flüchtigen Jetzt des Zeit lichen bestimmen. Diese Hingabe an das im Augenblick Vordergründige erschwert aber auch die Aus führung der Absicht, über das Zukünftige etwas auszusagen, gerade wenn es nur das Soziale und für die nächsten Jahrzehnte Angenommene betrifft.