Der Norden ist die äußerste Grenze, der Norden ist jenseits der Alpen.
Poetische Bilder des Nordens von Petrarca bis Tasso.
Manuela Boccignone
Die Frage, mit der sich die Autorin auseinandersetzt, lautet: Wie wird der »Norden« in der italienischen Dichtung dargestellt? Das Verhältnis italienischer Dichter gegenüber dem Norden war bislang noch nie Gegenstand einer Gesamtdarstellung. In dieser literaturwissenschaftlichen Studie steht das, was als spezifisch »Nordisch« gilt, im Mittelpunkt.
Die Motive des Nordens in der italienischen Literatur sind Darstellungsformen, die über Jahrhunderte hinweg ihre Inhalte tradieren und sich nur langsam entwickeln. Sie haben keinen Wahrheitsanspruch im Sinne einer Beschreibung eines realen, geographischen Raumes, aber sie streben eine höhere menschliche Wahrheit an. »Norden« stellt für die Italiener »eine andere Welt« dar, in der alles »anders« sein kann als in der vertrauten Welt. Die Himmelsrichtung »Norden« steht hierbei für Barbarei und Grausamkeit, für Wildheit und Wut, für Härte und Erbarmungslosigkeit, aber auch für Keuschheit, Reinheit, Tapferkeit, Heldentum, Kraft, Stärke, Männlichkeit und Ursprünglichkeit. »Norden« wird als Konzept des Fremden und Rätselhaften, des Unheimlichen und Unerreichbaren konstruiert und bietet reichlich Material für verschiedene wertvolle poetische Konstruktionen. Hinter diesem schlicht klingenden Begriff verbergen sich ganze Weltbilder, Wertvorstellungen, Sehnsüchte und auch die Konzeptualisierung der Grenzen des Menschlichen.