Der Rechtsstaat unter den Bedingungen informaler Staatlichkeit
Beobachtungen und Überlegungen zum Verhältnis formeller und informeller Institutionen
Gunnar Folke Schuppert
In der gegenwärtigen Diskussion über die zentrale Bedeutung von Rechtsstaatlichkeit für legitime Herrschaftsausübung – Gewährleistung von Rechtssicherheit, Unabhängigkeit der Gerichte, gleiche Rechtsanwendung ohne Ansehung der Person – wird die Frage nach den Funktionsbedingungen (westlicher) Rechtsstaatsvorstellungen häufig vernachlässigt. Kann Rechtsstaatlichkeit funktionieren, wenn die das jeweilige politische System prägenden Spielregeln – die „rules of the game“ – informaler Natur sind, wie etwa die informalen Tauschregeln von Korruption und Klientelismus? Um diese Frage beantworten zu können, bedarf es einer Vergewisserung über das Verhältnis formaler und informaler Institutionen (Regeln): Ergänzen sie einander, koexistieren sie friedlich oder widersprechen sie einander mit der Folge, dass ein Regelungstyp sich auf Kosten des anderen durchsetzt? Vielfältige Beobachtungen geben Anlass zu der Befürchtung, dass der Rechtsstaat nur auf dem Papier steht, auf dem Verfassungen gedruckt werden, wenn das tatsächliche Verhalten der Akteure von informalen Regeln bestimmt wird.