Der Traum von einer Sache
Aufstieg und Fall der Utopien im politischen Lied der Bundesrepublik und der DDR
Holger Böning
Vierzig Jahre ist es her, daß im Jahre 1964 die legendären Festivals auf der Burg Waldeck begannen. Sängerinnen und Sänger traten hier auf, die in den folgenden zwei Jahrzehnten die Konzertsäle füllen sollten: Franz Josef Degenhardt, Hannes Wader, Reinhard Mey oder Dieter Süverkrüp. Unter dem Einfluß englisch-amerikanischer Folkmusik und französischer Chansons entstanden Lieder, die Restauration und Bewegungslosigkeit der Adenauer-Gesellschaft kritisierten. Berühmt wurde Degenhardts „Spiel nicht mit den Schmuddelkindern“. Hunderte Sängerinnen und Sänger setzten sich in den folgenden Jahren in ihrer Muttersprache mit den politischen Verhältnissen auseinander und engagierten sich. Vom leise-poetischen Chanson bis zu den Rockgesängen solcher Gruppen wie „Ton Steine Scherben“ oder „Floh de Cologne“ reichten die Ausdrucksformen.
Ebenfalls Mitte der sechziger Jahre wuchs in der DDR aus eigener Initiative die Singebewegung, deren Akteure von Wolf Biermann spöttisch als „Kaisergeburtstagssänger“ bezeichnet wurden. Tatsächlich aber entstanden in tausenden von Singeklubs auch viele Lieder, die sich kritisch an der eigenen Gesellschaft rieben. Kaum ein Sänger, der nicht Auftrittsverbote, Sendeverbote in Rundfunk und Fernsehen oder andere Repressionen erlebte. Am Ende landeten selbst Lieder des „Oktoberklubs“ auf dem Index. Aus der Singebewegung ging nicht nur eine lebendige Musiktheaterszene hervor, sondern auch Solisten wie Bettina Wegner, Barbara Thalheim, Hans-Eckardt Wenzel oder Gerhard Gundermann. In den achtziger Jahren sind Lieder aus der Punkbewegung interessant, die kompromißlos die DDR attackieren.
Die vorliegende Studie richtet ihr Augenmerk auf den Umgang mit Utopien im politischen Lied der beiden deutschen Staaten. Welche Rolle spielen die Menschheitsträume von einer friedlichen und brüderlichen Gesellschaft, von menschenwürdigem Leben und sozialer Gerechtigkeit.