Der Ziegenmelker
Caprimulgus europaeus L.
Reiner Schlegel
Der Ziegenmelker führt seinen Namen, der ihm vor Hunderten von Jahren zugelegt wurde, zu Unrecht. Seine nächtliche Lebensweise schürte den Aberglauben, daß dieser harmlose Insektenfresser Menschen und Vieh Böses antue.
Der drosselartige Vogel mit den langen spitzen Flügeln und dem langen Schwanz, der mit weichen Federn fast geräuschlos fliegt, weicht morphologisch von den meisten anderen Vögeln ab, vor allem durch den kleinen schwachen Schnabel und den bis hinter die Augen aufgeschlitzten Mund, der beim Öffnen den riesigen roten Rachen sichtbar werden läßt. Er ist ein ausgesprochener Dämmerungs- und Nachtvogel, der den Tag über schläft und in seiner Gefiederfärbung so an die Rinde der Bäume angepaßt ist, daß er selbst wie ein Stück Holz wirkt, was ihm einen vortrefflichen Schutz vor seinen Feinden gewährt. Als ausgeprägter Zugvogel kommt er spät aus dem afrikanischen Winterquartier und zieht früh wieder fort.
Besonders in seiner Brutbiologie zeigt der Vogel eine hervorragende Anpassung an die durch den kurzen Aufenthalt im Brutgebiet und die nächtliche Lebensweise bedingte Zeitknappheit für die Jungenaufzucht. Alle Brutpflegehandlungen sind so aufeinander abgestimmt, daß durch eine geradezu verblüffend exakte Verschachtelung zwei Bruten in kurzer Zeit aufgezogen werden können und so die Erhaltung der Art gewährleistet ist. Hochinteressant ist die vom Verfasser experimentell nachgewiesene Fähigkeit des Ziegenmelkers, in nahrungsarmen Zeiten durch das Herabsetzen der Körpertemperatur tagsüber wertvolle Energie zu sparen.
Dieser Charaktervogel in der Biozönose der Kiefern-Heide-Wälder hat durch Vertilgung zahlloser Schadinsekten eine bedeutende Rolle bei der Erhaltung des biologischen Gleichgewichtes seines Biotops und gehört zu den interessantesten Vögeln unserer Heimat.