Deutsche »Leitkulturen« von der Weimarer Klassik bis zur Gegenwart
Jost Hermand
Im Gegensatz zu allen bis heute nachwirkenden Tendenzen, den Begriff „Leitkultur“ auf nationalistische oder christliche Ausdeutungen zu verengen, geht es in diesem Buch vornehmlich darum, ihm endlich einen wahrhaft demokratischen Sinn abzugewinnen. Was eine „Leitkultur“ auszeichnen sollte, sind eher all jene avantgardistischen Bemühungen seit dem Ende des 18. Jahrhunderts, welche über politische, sozioökonomische und bildungsbedingte Missstände hinausweisen und Formen einer höher gearteten Gesellschaft entwerfen. Dabei sind vor allem solche Zielvorstellungen ins Auge zu fassen, die sich in den verschiedenen Künsten äußern und mit denen sich die seit dem Zeitalter der Aufklärung angestrebte Utopie einer im besten Sinne solidarischen und verantwortungsvollen Sozialordnung verwirklichen ließe. Nur das sollte in Zukunft unter dem Terminus „Leitkultur“ verstanden werden.