Deutschland und die Anarchie: Anarchie als die Suche des Menschen nach sich selbst
Richard A. Huthmacher
Für viele Anarchisten stand am Anfang der Zorn. Das Aufbegehren. Die Rebellion. Das Streben nach Freiheit. Indes: Freiheit wovon? Und: Freiheit wozu? Mehr noch: Ist Abwesenheit von Herrschaft schon („die“) Freiheit? Und weiterhin: Hass als Reaktion auf Unfreiheit, als Mittel und Zweck zu deren Überwindung ist (nicht selten) destruktiv – wird Freiheit somit (oft, meist gar) aus Hass und Zerstörung geboren? Mit anderen Worten: Theorie und Praxis der Anarchie suchen eine Antwort auf die Frage, wie sich der destruktive Zorn des Aufbegehrens in eine konstruktive, schöpferische Form von Freiheit umsetzten lässt.
Insofern ist der Anarchismus ein fort- und immerwährendes Experiment, ein „Basar der Vielfalt“, aus dem sich ein jeder, indes nicht nach Belieben bedienen kann. Denn Anarchismus ist ebenso vielfältig wie in keiner Weise willkürlich. Anarchismus ist kein (definiertes und definitives) Ziel, sondern ein Zustand sozialen Zusammenlebens, den die, welche sich gesellschaftlich organisieren, immer wieder wie immer wieder neu bestimmen müssen; er ist nicht die marxsche Utopie einer klassenlosen Gesellschaft, sondern ein ständiges Suchen, Versuchen, Wagen und Ausprobieren. Aus dem (obersten) Ziel des Anarchismus, die Herrschaft des Menschen über den Menschen zu beenden, aus dem sozial geprägten anarchistischen Freiheitsgedanken leitet sich die un-bedingte Forderung der Anarchisten ab, den Staat in seiner jeweils herrschenden Form, dessen Macht- und Herrschaftsverhältnisse abzuschaffen. Und Alternativen zur alten Staatlichkeit zu entwickeln.
Insofern ist Anarchie – eo ipso – an kein (gesellschaftliches, politisches, religiöses, philosophisches) System gebunden; sie, die Anarchie ist schlichtweg die Suche des Menschen nach sich selbst: in seiner Un-bedingtheit, frei von allem und jedem, nur begrenzt durch die Unverletzlichkeit anderer freier Menschen und die Grenzen, die letztere zum Schutz ihrer je eigenen Person setzen. Insofern ist Anarchie der Todfeind jeder Ordnung, die auf Herrschaft, Macht und Unterdrückung, auf oben und unten beruht; sie ist letztlich eine Gesellschaft von Freien unter Freien, sie ist die soziale und politische Manifestation von Humanismus und Aufklärung.
Mithin: Den aufrechten Gang müssen wir lernen: Ob wir ihn letztlich als Anarchisten, Sozialisten, Kommunisten oder Demokraten gehen ist oft und vielerorts beliebig (will meinen: dem Belieben des je Einzelnen anheim gestellt). Denn die, welche ihn, den aufrechten Gang üben, wollen nicht über andere herrschen; sie wollen nur Mensch sein unter Menschen.