Die »ägyptische Grotte« von Vulci
Zum Beginn der Archäologie als wissenschaftliche Disziplin
Friederike Bubenheimer-Erhart
Etruskische Gräber, die ägyptische oder ägyptisch wirkende Funde enthielten, galten im 19. Jahrhundert als ägyptische Grotten. Im Mittelpunkt des vorliegenden Bandes steht die ägyptischste dieser Grotten, das Isisgrab von Vulci, das bei den Ausgrabungen der Fürsten von Canino im Jahre 1839 zutage kam und damals eine Sensation ersten Ranges war. Während das Grab selbst bald verloren ging, sind seine Funde bis heute ein Kronzeuge der orientalisierenden Periode Etruriens geblieben. Diese Funde, der wissenschaftlichen Welt oberflächlich bekannt, in Standardwerken zur etruskischen Kunst und Kultur auch regelmäßig erwähnt, wurden von den Ausgräbern, Lucien und Alexandrine Bonaparte, nicht publiziert. Dieser Umstand und das wechselvolle Schicksal der Funde, die durch mehrere Hände gingen, bevor sie im Jahre 1850 in das Britische Museum gelangten, hatten zur Folge, dass über dem Isisgrab von Vulci stets auch Zweifel schwebten. Um dieses Grab endlich einer gründlichen wissenschaftlichen Bearbeitung zuführen zu können, hat Friederike Bubenheimer-Erhart hier eine Fülle bislang unbekannter oder wenig beachteter Dokumente aus verschiedenen historischen Archiven zusammengetragen. Auf der Grundlage dieser Dokumente – es handelt sich dabei um Grabungsberichte, Sitzungsprotokolle, Fundnotizen, Abrechnungen und Gelehrtenbriefe – erzählt sie in spannender Weise die Geschichte dieses Grabes von seiner Entdeckung bis zum Eingang eines Großteils der Funde in das Britische Museum. Anschließend rekonstruiert sie, soweit es die Dokumente noch erlauben, das Grabinventar, dessen einstige Ausmaße das erhaltene Ensemble des Britischen Museums bei weitem überschreiten. So wird erstmals ein verlässliches Bild von diesem bedeutenden Grab geschaffen, mithin ein dringendes Desiderat der Forschung erfüllt. Darüber hinaus gewährt die Geschichte dieser ägyptischen Grotte aber auch Einblick in die Geschichte der Archäologie, wie sie im Zusammenspiel verschiedener Institutionen, Gesetze und Initiativen im zweiten Viertel des 19. Jahrhunderts im Kirchenstaat betrieben wurde und nachgerade zu einer wissenschaftlichen Disziplin heranreifen konnte. Die Autorin erläutert den Umgang mit archäologischen Funden, die unter wissenschaftlichen, kommerziellen und kulturpolitischen Gesichtspunkten von Interesse waren. Besonderes Augenmerk galt den ägyptischen oder für ägyptisch gehaltenen Funden, weil sie das antike Etrurien mit der ehrwürdigen, das Denken immer noch dominierenden Kultur des Nillandes verbanden. Da die mit der ägyptischen Grotte von Vulci befassten Gelehrten zum Teil führende Persönlichkeiten aus Politik und Gesellschaft waren, bietet der Band zugleich eine faszinierende Schilderung der historischen Verhältnisse im Italien der Restaurationszeit.