Die Aktiengesellschaft im Spiegel der Rechtstatsachenforschung von Bayer,  Walter

Die Aktiengesellschaft im Spiegel der Rechtstatsachenforschung

Mit einer Gesamtzahl von über 16.000 spielen Aktiengesellschaften im heutigen Wirtschaftsleben eine zentrale Rolle. Während börsennotierte Gesellschaften im Mittelpunkt zahlreicher Studien stehen, gibt es nur relativ wenig empirisches Material zu Nichtbörsen-Aktiengesellschaften. Der vorliegende Band beleuchtet aus rechtstatsächlicher Perspektive wichtige Phasen des idealtypischen „Lebenszyklus“ einer AG: angefangen von den Gründungsvorüberlegungen und dem eigentlichen gesellschaftsrechtlichen Gründungsakt, über die Going-Concern-Gesellschaft bis hin zu Auflösungs- oder Restrukturierungsprozessen.

Eingeleitet wird der Band mit einem Beitrag des Jenaer Wirtschaftswissenschaftlers Prof. Dr. Roland Helm, in dem Ergebnisse einer früheren Befragungsstudie zu Gründen der bewussten Entscheidung für eine Aktiengesellschaft als Rechtsträger vor dem Hindergrund möglicher alternativer Rechtsformen für Unternehmensgründungen dargestellt werden. Den Entscheidungsmotiven wird gegenüber gestellt, wie zufrieden die Gründer ex post mit ihrem Votum für die AG als Rechtsform waren.

Große Bedeutung für eine ganze Welle von AG-Gründungen in der jüngsten Vergangenheit hatten erstaunlicherweise rentenversicherungsrechtliche Motive. Mit diesem Phänomen im Schnittfeld von Sozial- und Gesellschaftsrecht setzt sich Christian Günzel ausführlich auseinander und liefert hierzu entsprechendes empirisches Material.

Dr. Jessica Schmidt befasst sich anschließend in einem Beitrag mit einer Alternative zur bewährten deutschen Aktiengesellschaft – nämlich mit ihrer großen europäischen Schwester, der Socieatas Europaea (Europäische Aktiengesellschaft, SE). Erstmals werden in einer umfangreichen empirischen Untersuchung Ergebnisse zur europaweiten Verbreitung der SE vorgelegt und gleichsam die Motivlagen für SE-Gründungen seit dem 8.10.2004 – dem Inkrafttreten der SE-Verordnung – beleuchtet. Schmidt zeigt auf, dass es sich bei der SE keineswegs um eine „praxisuntaugliche Fehlkonstruktion“ – wie von einigen Kritikern behauptet – handelt, sondern um eine moderne und flexible Rechtsform mit einem breiten Anwendungsspektrum.

Es folgen anschließend rechtstatsächliche Beiträge zur Going-Concern-Aktiengesellschaft. Dabei steht im Mittelpunkt die Corporate-Governance-Problematik, speziell die Rolle von Vorstand und Aufsichtsrat. Dr. Jan Lieder weist in seinem Beitrag eine lange Traditionslinie der Rechtstatsachenforschung zur Aktiengesellschaft nach, die bis an den Anfang des 20. Jahrhunderts reicht, indem er exemplarisch die Rolle wichtiger empirischer Studien (Eulenberg, Passow, Landwehr, Popp, etc.) zur Struktur und zur Machtstellung des AG-Aufsichtsrats erörtert. Dabei verdeutlicht er gleichsam den Anspruch der Rechtstatsachenforschung – sei es in der Vergangenheit, sei es in der Gegenwart -, einen Beitrag nicht nur zur Durchdringung der lex lata, sondern auch zur Fortentwicklung des Aktienrechts de lege ferenda leisten zu wollen.

Ebenfalls der Corporate-Governance-Problematik widmen sich die Beiträge von Renner und Dieling. Renner gibt einen systematischen Überblick über bisherige empirische Studien zu einer Grundfrage der Corporate Governance: der anreizorientierten Vorstandsvergütung, während Dieling aktuelle Rechtstatsachen aus einer Studie zum Wechsel von Vorstandsmitgliedern in den Aufsichtsrat aufzeigt. Damit gehen beide Autoren Themen an, welche gegenwärtig – bis hin in die aktuelle Tagespresse – besonders kontrovers diskutiert werden.

Die beiden abschließenden rechtstatsächlichen Beiträge thematisieren Restrukturierungsmaßnahmen von Aktiengesellschaften nach dem Umwandlungsgesetz, wobei ein Fokus auf Verschmelzungen (Thomas Hoffmann) und Spaltungen (Dr. Jessica Schmidt) gelegt wird. Die Autoren legen aktuelle Zahlen zur Verbreitung der einzelnen Umwandlungsarten vor und diskutieren dieses Material vor dem Hintergrund der kürzlich vorgenommenen Novellierung des deutschen Umwandlungsgesetzes, das nunmehr auch für grenzüberschreitende Verschmelzungen eine rechtssichere Basis schafft und zudem auf einige bisher hinderliche „Spaltungsbremsen“ verzichtet.

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