Die anderweitige (ausländische) Rechtshängigkeit im U.S.-amerikanischen Zivilprozeßrecht.
Norbert Schulte
Es erscheint beinahe selbstverständlich, daß dieselben Parteien nicht gleichzeitig vor zwei inländischen Zivilgerichten über dieselbe Streitsache prozessieren können. Auch in den U.S.A. ist die Beachtlichkeit einer anderweitigen Rechtshängigkeit innerhalb derselben Gerichtsgewalt eine gefestigte »common law rule«. Nicht mit derselben Selbstverständlichkeit wird, auch und gerade im internationalen Vergleich, die Rechtshängigkeit eines entsprechenden ausländischen Verfahrens beachtet. Insbesondere die U.S.A. stehen in dem Ruf, ausländische Parallelverfahren regelrecht zu ignorieren. Norbert Schulte untersucht, wie das U.S.-amerikanische Zivilprozeßrecht auf die Problematik einer anderweitigen (ausländischen) Rechtshängigkeit reagiert.
Zu Beginn wird die deutsche Rechtslage im Überblick dargestellt. Während die Rechtslage in wesentlichen Grundsätzen fast übereinstimmend beurteilt wird, ist z. B. das Verhältnis von ausländischen Feststellungsklagen zu inländischen Leistungsklagen und umgekehrt ungeklärt. Als Bestandteil des geltenden Rechts werden zudem die Artikel 21, 22 EuGVÜ abrißartig analysiert. Der Hauptteil der Arbeit ist dem U.S.-amerikanischen Recht gewidmet. Beginnend mit den unterschiedlichen einzelstaatlichen Regelungen stellt der Autor die verschiedenen Doktrinen vor, derer sich U.S.-amerikanische Gerichte behelfen, um die anderweitige (ausländische) Rechtshängigkeit in einem anhängigen Verfahren möglicherweise zu berücksichtigen.
Der Verfasser stellt fest, daß in den U.S.A. eine anderweitige ausländische Rechtshängigkeit in der überwiegenden Zahl der Fälle im Wege der Aussetzung des U.S.-Verfahrens berücksichtigt wird, wenn eine für den Einzelfall vorzunehmende Abwägung verschiedener Kriterien ergibt, daß der ausländische Prozeß den Rechtsstreit zügig und umfassend beenden kann. Die Vielzahl der möglichen Doktrinen, aufgrund derer eine anderweitige ausländische Rechtshängigkeit beachtet werden kann, sorgt allerdings für uneinheitliche Prüfungsstandards und erschwert die Vorhersehbarkeit der richterlichen Entscheidung. Abschließend wird vor dem Hintergrund der einzelfallbezogenen Betrachtung in der U.S.-amerikanischen Rechtsprechung ein Lösungsansatz für die in Deutschland ungeklärten Rechtsfragen entwickelt.