Die Deliktsfähigkeit Minderjähriger
Insbesondere das Verhältnis von Einsichts- und Steuerungsfähigkeit
Stephan Loheit
Nach der Konzeption des Bürgerlichen Gesetzbuches haften Minderjährige im Rahmen einer abgestuften Prüfung aus Deliktsfähigkeit und Verschulden vielfach selbst. Bis heute ist das zugrunde liegende Verhältnis zwischen § 828 BGB (Einsichtsfähigkeit) und § 276 BGB (Steuerungsfähigkeit) jedoch weitestgehend ungeklärt. Dem Wortl des § 828 BGB und seiner durch das Vernunftrecht der Aufklärung und die Rezeption römischen Rechts geprägten Entstehungsgeschichte folgend konnten sich Gesetzgeber und Rechtsprechung vor allem der wiederholten Forderung nach einer Einbeziehung der Steuerungsfähigkeit in die Prüfung der individuellen Reife nicht anschließen. Damit widersprechen Gesetzeswortl und Rechtsprechungspraxis modernen entwicklungspsychologischen Erkenntnissen und führen in praxi zur Haftung der noch nicht genügend entwickelten Minderjährigen, die vom „Durchschnitt“ des Verkehrs abweichen. Und dies, obgleich der Gesetzgeber diese Minderjährigen gerade in verstärktem Maße vor einer haftungsrechtlichen Inanspruchnahme bei reifebedingten Mängeln durch die Normierung des § 828 BGB zu schützen gedachte. In der Studie wird nach einer rechtsgeschichtlichen Darstellung der Entwicklung der Deliktsfähigkeit, der Genese des Begriffs der „zur Erkenntnis der Verantwortlichkeit erforderlichen Einsicht“ und einer Untersuchung seiner Auslegung durch die Rechtsprechung vor allem die Frage der zureichenden Berücksichtigung der haftungserheblichen Steuerungsfähigkeit beleuchtet und kritisch gegen entwicklungspsychologische Erkenntnisse hinterfragt. Im Ergebnis appelliert der Verfasser an den Gesetzgeber, eine an der ausschließlich individuellen Leistungsfähigkeit des Minderjährigen orientierte Haftung zu normieren.