Die Falltür
Über die Forderung von Elternunterhalt nach Kindesmisshandlung
Cristina Betancourt
Kindesmisshandlung ist ein gesellschaftlich, medizinisch, rechtlich und politisch brisantes Thema, zumal die Anzahl aller Opfer nur unzureichend geschätzt werden kann. Die Misshandlung endet nicht, wenn sich ein junger Mensch endlich dem Zugriff seiner Peiniger entzieht. Selbst bei großem räumlichen und persönlichen Abstand kann den Misshandelten die Altersarmut seiner Peiniger (Eltern) dann treffen, wenn die Eltern im Rentenalter auf Unterstützung durch die Sozialkassen angewiesen sind. Die Sozialbehörden machen von ihrem Recht Gebrauch, den Unterhaltsanspruch der Eltern auf sich überzuleiten und geltend zu machen. Dann trifft ein ohnehin schon in der Kindheit für sein Leben gezeichnetes Opfer unvermittelt die zunächst scharf fordernde Hand des Staates. Die Qualen aus der Kindheit sind plötzlich wieder da, die Ansprüche der Sozialbehörden wirken wie eine Falltür in einen bodenlosen Abgrund für die wirtschaftlichen, sozialen und psychischen Ressourcen des Opfers.
Anhand eines brandaktuellen authentischen Falls aus dem Dunkelfeld misshandelter Kinder analysiert die Autorin schonungslos die Elemente der Misshandlung und deckt komplizenähnliche Strukturen im Umfeld und bei Ärzten des Opfers auf. Sie beschreibt die Aneinanderreihung erschreckender behördlicher Fehlleistungen und erlaubt sich sogar den Vorwurf methodisch verschleiernden Vorgehens.
Die Offenheit der Protagonistin ermöglicht, alle Strukturen zu erfassen und zu entblößen, die durch ihr teilweise sogar strafbares Versagen über Jahrzehnte hinweg für die Betroffene einen Weg bereiteten, der für sie auch tödlich hätte enden können. Starker Lebenswille und große Selbstheilungskräfte versetzen sie in die Lage, der fordernden Behörde schonungslos und erfolgreich die Stirn zu bieten. Die Ausreden der überforderten Behörde sind beeindruckend.
Als Fallanalyse geschildert, erhebt dieses Werk Anspruch auf allgemeine Gültigkeit und ist Wegweiser für andere Betroffene und deren Helfer (Ärzte, Pädagogen, Therapeuten, Anwälte, Freunde). Die Bedeutung des Falls hat Potenzial zur Diskussion auf öffentlicher und politischer Ebene mit der Forderung der Anpassung der Gesetze, verfahrensrechtlicher Abläufe, der Kompetenz- und Informationserweiterung in den sachbearbeitenden Stellen, der Aufbewahrungsverordnungen u. v. m., damit ehemals misshandelten Kindern zumindest nachträglich echte Entlastung zuerkannt wird.
Das Buch liest sich wie ein Kriminalroman, aber es ist brutale und brandaktuelle Wahrheit.