Die Fortifikationsliteratur des 16. und 17. Jahrhunderts
Traktate deutscher Sprache in europäischen Kontext
Tobias Büchi
Im 16. und 17. Jahrhundert transformierte sich die Befestigung von Städten und Burgen mit den seit Urzeiten bewährten Mauern und Türmen in ein System, das im Gegensatz zur Zivilbaukunst nicht auf Vorbilder aus der Antike zurückgreifen konnte: das Bastionärsystem. Obwohl es schon früh Architekten gab, die sich als Ingenieure auf den Festungsbau konzentrierten, wurden die Aufgaben der ‚architectura civilis‘ und der ‚architectura militaris‘ oft von ein und derselben Person ausgeübt. Mit zunehmender Spezialisierung lösten sich jedoch diese Bereiche als eigenständige Arbeits- und Wissensgebiete immer mehr voneinander, was über die Jahrhunderte zu einer Trennung der Kompetenzbereiche des Ingenieurs und des Architekten führte. Die Entstehungsgeschichte des Bastionärsystems ist deshalb auch Teil der Entstehungsgeschichte des modernen Ingenieurwesens.Festungen der untersuchten Periode waren grosse und kostbare Bauwerke, deren Planung und Ausführung oft mehrere Jahrzehnte dauerte und höchste Anforderungen an die involvierten Entscheidungsträger und leitenden Architekten stellte. Neben militärischem Fachwissen waren ein hohes Mass an technischer und administrativer Kompetenz sowie architektonische Erfahrung in der Bewältigung des Planungsprozesses, der Baustellenorganisation und der Kostenkontrolle erforderlich. Diese Anforderungen wurden in einer umfangreichen theoretischen Literatur reflektiert, die, sofern sie im deutschsprachigen Kulturraum im Druck veröffentlicht wurde, Thema des vorliegenden Buches ist.
Die detaillierte Untersuchung der Traktate wirft ein neues Licht auf die Konzepte, Denkformen und Methoden der entstehenden Ingenieurwissenschaften im Zusammenhang mit der zeitgenössischen Mathematik, Naturwissenschaft und Philosophie und der Theorie der Militär- und Politikwissenschaften. Durch die Thematisierung und Hinterfragung des sich ergänzenden Verhältnisses von Theorie und Praxis erschliesst die Arbeit zudem das historisch bedingte Selbstverständnis heutiger Ingenieure und Architekten.