Lichtbild(n)er von Glaser,  Hermann, Schaefer,  Horst

Lichtbild(n)er

Fränkisches Bilderbuch des Meisterphotographen Horst Schäfer

Zu diesem Buch

Horst Schäfer – ein Meister der Photographie

Als der französische Maler Jacques Daguerre Ende der 1830-er Jahre in Paris Aufsehen erregte, weil er ein Verfahren erfand, „Lichtbilder“ herzustellen – der Beginn der Photographie (Daguerreotypie) –, berichtete 1839 der davon faszinierte deutsche Naturforscher Alexander von Humboldt aus der französischen Hauptstadt, dass nun die Natur sich „in unnachahmlicher Treue“ selbst male („fixiere“). Er ahnte damals noch nicht, dass bei allem chemischen „Automatismus“ ein neuer Künstlertypus die Kulturbühne betrat: der Photo-Künstler.

Zunächst war der Photograph vor allem Techniker und Arrangeur, der menschliche Objekte (häufig Brautpaare) in einer geeigneten Umgebung (in einem Atelier) positionierte und die Kameraaufnahme auslöste. Mit den Außenaufnahmen entwickelte sich das Bewusstsein, dass die Natur keineswegs sich selbst male, sondern es auf das „Subjekt“, nämlich den Menschen ankomme, der mit „künstlerischem Auge“ das Gerät „ausrichte“, also mit der Kamera „male“.

Ein solcher Lichtbild-Künstler ist Horst Schäfer, eine Koryphäe seines Metiers. Er wird zu seinem 85. Geburtstag geehrt. Aber nicht, indem über seine Kunst (Kunstfertigkeit) nur geschrieben wird, sondern indem Photos mit fränkischen Motiven von ihm vorgestellt, zusammengestellt wurden. Ihm sei gedankt, dass er die Photos zur Verfügung stellte, damit wir ihn ehren können.

Aus seinem großen Œuvre sind es Motive, gebündelt in neun Kapiteln, die er beim Durchstreifen der fränkischen Kulturlandschaft „erlegte“ und „erbeutete“.
Der Vergleich mit einer Jagdszenerie ist berechtigt, freilich alles unblutig und ohne Schmerzen; im Gegenteil: die „Beute“ wird durch Aufmerksamkeit belohnt und ausgezeichnet. Der Photo-Jäger muss ständig zum Schuss (Schnapp-Schuss) bereit sein, das Kamera-Gerät in Anschlag haben und zur rechten Zeit in „richtiger“ Position den Auslöser drücken.

Damit Photo-Kunst geschieht: Ist der Lichtbild-Künstler, ist Horst Schäfer ein Natur- oder Kulturtalent? Wohl beides: geborenes und gelerntes Genie. Einer, der Ästhetik im Blut hat und sich in den (vorwiegend westlichen) Kulturlandschaften auskennt, etwa in New York. Im Sinne Friedrich Schillers ist Horst Schäfer naiv und sentimentalisch (nie sentimental). Er lässt sich vom intuitiven Gefühl wie vom analytischen Verstand leiten. Ein Meister der elaborierten pictoralen Ästhetik.

Eine Frau, schwarze Gestalt, steigt eine weiße Treppe hinauf; gäbe es nicht die Figur, die eben den rechten Fuß von einer Stufe abgehoben hat und mit dem linken eine Stufe betritt, könnte man auch meinen, es handle sich um eine in lange Querstreifen gegliederte Wand. Handelt es sich bei diesem Photo von Horst Schäfer, auf das ich mich beziehe, um ein Abbild, das aufs Inbild hin drängt? Schäfer ist jedoch kein Symbolist, der Wirklichkeit auf Hinter-Sinn hin arrangiert oder gar inszeniert; er ist auch kein Expressionist, der Wirklichkeit zur Demonstration von Gefühlsüberschwang nutzt; Schäfer ist zunächst und vor allem Realist: ein Augenmensch, der den Augen-Blick mit Hilfe seines Geräts festhält. Ein Photo-Künstler wie Schäfer beugt sich der Realität nicht, er ist ihr Partner: denn immer ist es sein kreativer Augen-Blick, der zum Bild führt. Als künstlerisches Subjekt erkennt er, wann und wo diese Realität besonders eindringlich und eindrucksvoll wahrgenommen, und wie sie, etwa durch Lichtwirkung, in ihrer Essenz wahrnehmbar gemacht werden kann. Ein Vogel inmitten steil aufragender Wolkenkratzer: Das ist die Wirklichkeit des Wesentlichen, das Wesentliche einer Wirklichkeit, die mit Hilfe des objektiven Faktors Subjektivität, mit künstlerischer Intuition, erlebt, erkannt, photographiert wird. Nun kommt es auf uns an, auf die visuelle Evokation adäquat zu antworten. Dies macht die so fruchtbare Kommunikation zwischen Künstler und Publikum aus.

Horst Schäfer – ein global artist, der sich in der Nürnberg-Fürther Nische wohl fühlt – hat eine besondere Vorliebe für Architektur, vor allem für eine Architektur, die durch den rechten Winkel, durch Stahl, Glas, Beton geprägt ist. Er ist aber kein Architektur-Photograph, der Gebäude auflistet. Er dringt in die Gehäuse ein und entlockt ihnen den strukturellen Mehr-Wert. Dieser stille und einfühlsame Künstler oktroyiert uns freilich diesen Mehr-Wert nicht. Jedes Photo, das bald Landschaften, bald Strukturen, vor allem aber Menschen innerhalb von Strukturen, doch auch Strukturen ohne Menschen zeigt, gleicht einer Komposition, die unterschiedliche Gefühle, Stimmungen und Gedanken zum Schwingen bringt. Große Kunst bewirkt kein Unisono. Sie reduziert nicht Komplexität, sondern lässt uns Wirklichkeit in ihrer Mehrdimensionalität begegnen. Heureka: uns ist ein Stück Leben und Welt „aufgegangen“!

Schäfers Wirklichkeitswahrnehmung erfolgt mit Hingabe an die Realität; deshalb ist sie so ein- und nachdrücklich. Man kann auch von einer Versenkung in die Realität sprechen. He is – meinte ein amerikanischer Kritiker – both realistic and mystic.
Der Fensterputzer inmitten der unendlich scheinenden Fenster-Glaswand (um auf ein anderes Photo von Schäfer einzugehen). Im Einleitungsessay von Freddy Langer zu Schäfers großer Coburger Ausstellung heißt es dazu: Die Aufnahme ist ein Foto des modernen Sisyphos. Auch der Fensterputzer scheint auf halbem Weg den Berg hinauf, ist verloren an der Fassade, hier nicht mit einem Stein, der zurück in die Unterwelt rollt, bevor Sisyphos den Gipfel erreicht, sondern mit Lappen und Schwamm, und angetreten nicht gegen die Tücke eines Schicksals, das erzürnte Götter sich für ihn erdachten, sondern gegen den Dreck, den Wind und Regen über die Fensterscheiben verteilen.
Er wird realistisch aber auf eine Art und Weise wahrgenommen, dass wir seine mystisch-mythische Bedeutung erkennen. Einem, dem die durchaus mühevolle Photo-Kunst so hervorragend gelingt wie Horst Schäfer, hat seinen Stein, ohne dass er zurückrollt, nach oben gebracht. Hermann Glaser

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