Die Geburt der Dichtung im Herzen
Untersuchungen zu Autorschaft, Personifikation und Geschlecht im Minnesang, im Parzival, in "Der Welt Lohn" und im "Roman de Silence“
Julia Rüthemann
Frau Aventiure klopft an das Herz des Erzählers des „Parzival“, Frau Welt veranlasst den Ritter Wirnt von Gravenberg in „Der Welt Lohn“ durch eine Erkenntnis im Herzen zur Abkehr vom weltlichen Leben, die Minne(dame) drängt ins Herz des Minnesängers, der so zum Sang befähigt wird: das Muster einer Inspiration männlicher Dichter (bzw. Protagonisten) durch weibliche Personifikationen ist in der mittelalterlichen Literatur weit verbreitet. Die vorliegende Studie widmet sich den dieser Topik zugrundeliegenden, christlich geprägten Vorstellungen von Autorschaft und darin wirksamen mütterlichen Poetiken. So kann sie zeigen, dass in der Inszenierung literarischer Kreationsprozesse gerade auch durch männliche Autoren Vorstellungen von Schwangerschaft und Geburt ‚fruchtbar‘ gemacht werden, die bereits in theologischen Denkfiguren, insbesondere der sogenannten Herzgeburt, angelegt sind. Dass die in Herz und Personifikation vermittelten re-produktiven Logiken von Schwangerschaft und Geburt nicht nur die Poetiken von Lyrik und Erzähltexten, sondern auch das Erzählen prägen, zeigt der zweite Teil der Studie. Er setzt sich mit dem narratologischen Status semi-personifikatorischer Figuren und teilallegorischer Räume und ihren Gendercodierungen auseinander.