Die heilige Stadt in Esdras a und Esra-Nehemia
Zwei Konzeptionen der Wiederherstellung Israels
Dieter Böhler SJ
Wie Jeremia, Sprüche und Daniel ist das Esrabuch in zwei Fassungen überliefert: Esra-Nehemia (MT) und Esdras (LXX). Beiden Versionen ist die Erzählung von Serubbabels Tempelbau und Esras Mission gemeinsam; außerdem enthalten sie jeweils Sondergut: Ein Unterschied liegt in der Tempelbauerzählung: Die Abfolge von Artaxerxeskorrespondenz (Esr 47–24) und Serubbabels Heimkehr aus dem Exil ist vertauscht. Die Forschung hat 200 Jahre lang die Frage diskutiert, ob Esdr ein älteres Stadium der literarischen Entwicklung darstellt oder eine sekundäre Kompilation ist, die Esr-Neh bereits vorausetzt. Dieter Böhler untersucht, ob Esdr die Nehemiamemoiren (NM) ausgelassen hat oder eine ältere Textfolge Esr 10-Neh 8 bewahrt, sowie die Frage nach dem ursprünglichen Ort der Artaxerxeskorrespondenz. Ein detaillierter Vergleich der Texte von Esdr und Esr MT ergibt signifikante Textvarianten. Sie zeigen, dass Esdr eine Fassung der Tempelbau-Esra-Erzählung ist, die die NM noch nicht enthalten haben kann, während die entsprechenden Lesarten von Esr MT sich als textkritisch sekundäre Anpassungen erweisen. Während die ältere Ausgabe der Restaurationserzählung (Esdr ohne Pagenerzählung) Tempel und Tora als Konstitutiva Israels betrachtete, fügte die jüngere Fassung Esr-Neh die Forderung nach politischer Souveränität hinzu. Die Neufassung scheint aus der Makkabäerzeit zu stammen.