Die lateinischen Dichtungen
Reinhard Düchting, Paul Gerhardt
Paul Gerhardt (1607–1676) ist der einzige evangelische Kirchenliederdichter, dessen deutsche Liedstrophen, entstanden unter Erfahrungen des Dreißigjährigen Kriegs und persönlichen Leids (Sterbefälle in der Familie, Verleumdungen, Anfechtung durch eine reformierte Obrigkeit), der lutherischen Orthodoxie eine Herzensfrömmigkeit abgewinnen, die bis auf den Tag Ohr und Herz der Gläubigen und aller Literatur- und Musikfreunde besetzt hält. Daneben sind seine kleinen lateinischen Gedichte in allem ein Nebenwerk und doch angesichts der wenigen erhaltenen Lebenszeugnisse des Dichters von nicht zu unterschätzender Bedeutung. Gedanklich in allem den deutschen Liedern konform, sind sie Gelegenheitsdichtungen im besten Sinn: auf den Tod von Freunden und Kollegen, auf ochzeit und Wiederverheiratung und akademische oder berufliche Ehrungen. Seine poetischen Beiträge, gemeinsam mit denen der Kollegen, zeigen die familiäre Verflechtung der geistlichen und weltlichen Zeitgenossen (an St. Nikolai und der Marienkirche, im berlinischen Gymnasium Zum Grauen Kloster und in der kurfürstlichen Administration im Schloß) um 1650, als nach dem Dreißigjährigen Krieg die brandenburgische Residenzstadt Berlin-Cölln unter dem Großen Kurfürsten Friedrich Wilhelm langsam neu aufzublühen begann.
Die lateinischen Gedichte von Paul Gerhardt waren seit dem 19. Jahrhundert aus seltenen Drucken wiedergefunden worden, 15 waren seit 50 Jahren bekannt; nun hat der Heidelberger Philologe Reinhard Düchting 3 weitere entdeckt, sodaß in dieser ersten selbständigen Ausgabe erstmals alle lateinischen Carmina ediert, übersetzt und kommentiert werden und das Bild des Barockdichters durch die Facette seiner lateinischen Kleindichtung frische und teils neue Konturen gewinnt.