Die Türkei in der Identitätsfalle
Zur Kompatibilität von Kopenhagener Kriterien und türkischem Konstitutionalismus
Meral Budak-Fero
Welchen Einfluss hatten zehn Jahre EU-Beitrittsprozess auf die normative und empirische Entwicklung des Rechts auf Meinungsfreiheit in der Türkei? Anhand dieser Frage und dem theoretischen Gerüst des politischen Konstitutionalismus suchte diese interdisziplinäre Studie nach einer Erklärung für den schleppenden Beitrittsversuch der Türkei in die Europäische Union.
Es eröffneten sich dabei Kausalzusammenhänge, die weit über bürokratische Hürden hinausgehen: Für die Türkei geht es um die identitäre Grundlage des Staates. Letzterem wurde eine Identität aufoktroyiert, die das Erbe des multiethnischen und multireligiösen Vorgängerstaates, dem Osmanischen Reich, bewusst zu verdrängen versuchte. Den so schwelenden ethnisch/religiösen Konflikten wurde mit Einschränkungen der Grundrechte begegnet. Die Kopenhagener Beitrittskriterien werfen im Falle der Türkei letztlich Identitäts- und Legitimitätsfragen auf, deren Tabuisierung für den halbherzigen Beitrittsprozess verantwortlich ist.