Die türkische Zentralasienpolitik 1990-2007
Osman N Özalp
Durch den Zerfall der Sowjetunion eröffnete sich für die türkische Außenpolitik ein historischer Raum, der neue kulturelle und politische Handlungsmöglichkeiten bot. Denn vier der fünf zentralasiatischen Republiken sind (mit einer großen turkstämmigen Minderheit in Tadschikistan) ebenso wie das kaukasische Aserbaidschan mehrheitlich von Turkvölkern bewohnt. Um sich als wichtiger regionaler Akteur zu etablieren, lancierte Ankara in diesem Raum eine ehrgeizige Außenpolitik. Daher gewann bei der Gestaltung der außenpolitischen Interessen die kulturelle, religiöse, ethnische, sprachliche und historische Komponente an Bedeutung. Ankara bemühte sich, sich im postsowjetischen Raum als Regionalmacht zu profilieren und die Führerschaft der turkstämmigen Republiken zu übernehmen. Aufgrund der ethnischen Verwandschaft und der islamischen Religion verstand sich die Türkei als natürlicher Partner der zantralasiatischen Republiken. Zu Beginn der 90er-Jahre vertraten die türkischen Politiker sogar die Auffassung, dass unter der Führung der Türkei die zentralasiatischen Länder politisch und wirtschaftlich neu gestaltet werden sollten. Dabei warb die Türkei mit ihrem politischen Sytem, das als „türkisches Modell“ bezeichnet wurde, als Alternative zu dem islamischen Staatsmodell des Iran. – Welche Bedeutung hat Zentralasien für die Türkei? – Welche Absichten und Zielen verfolgt die Türkei in Zentralasien? – In welchem Ausmaß kommt dem säkularen Staatsmodell der Türkei Vorbildcharakter für die zentralasiatischen Länder zu? – Wo liegen die Grenzen des intensivierten türkischen Engagements in den historisch, ethnisch, sprachlich und religiös verwandten Republiken Zentralasiens? – Wie kann die bisherige Bilanz der Türkei in Zentralasien bewertet werden? Mit der Beantwortung dieser Leitfragen beabsichtigt dieses Buch, neue Sichtweisen der Außenpolitikanalyse am Beispiel der Türkei und insbesondere ihrer Zentralasienpolitik vorzutragen.