Die verlorene Wahrheit des Kreuzes
Agostino Marsoner
Am Anfang der abendländischen Dichtung umriss Homer eine unpersönliche Gottheit, Moira, welche den Ereignissen des Werdens ein Gleichgewicht aufzwingt: Jede Tat steht mit einem Vorfall im Zusammenhang und sie wird zur Voraussetzung einer gegensätzlichen Tat. Am Ende der Kultur des Abendlands beginnt ein rätselhaftes Verhältnis zu erscheinen: eine religiöse Wahrheit, die Bergpredigt, die wiederum der tragischen Wahrheit des Lebens entspricht und gipfelte im Tod auf dem Kreuz, verwandelte sich in eine nützliche Lüge, eine scheinreligiöse Hoffnung, die auf vermutlichen Prophezeiungen, übernatürlichen Wunder und überirdischen Sakramenten basierte. Die Reaktion gegen einen solchen Todfeind, der dichterische Dionysos von Nietzsche, war aber ein großartiger Widerspruch, der tatsächlich den lebensgefährlichen Irrtum verstärkte. Die Hoffnung der zeitgenössischen Welt, die überbewaffnet ist und von einem selbstzerstörischen Egoismus beherrscht wird, wurde im tiefesten Werk der zweiten Nachkriegszeit ausgedrückt: Im indischen Pyaasa wird die erlösende Wiedergeburt einer neuen Welt dank einer friedlichen Revolution möglich gemacht, der Erkennung einer Wahrheit, welche schon von Proklos am Ende der klassichen Welt ausgedrückt wurde: »Die geschichtliche Forschung bestätigt, dass die Frauen, wenn sie wohl erzogen werden, viel edler als die Männer sich erweisen.«