Die Zentralasienstrategie der EU
Neues "Great Game" oder neue Chance für die Region?
Mahabat Sadyrbek
Im Mittelpunkt dieses Buches stehen die im Jahr 2007 vom Europäischen Rat verabschiedete Zentralasienstrategie der Europäischen Union, ihre Implementierungsfortschritte in den ersten zwei Jahren und ihre zukünftigen Perspektiven. Um das EU-Engagement in der politisch instabilen und ökonomisch schwachen Region Zentralasien transparenter zu machen, stellt die Verfasserin zunächst die fünf zentralasiatischen Republiken Kasachstan, Kirgistan, Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan in einer analytischen Beschreibung vor. Der wirtschaftliche und politische Transformationsprozess in den fünf Ländern erweist sich seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion bislang immer noch als äußerst schwierig. Gemeinsam sind den fünf Staaten fragile, teilweise desaströse ökonomische Entwicklungen sowie die politische Unberechenbarkeit der okratischen und semiokratischen Machthaber. Nichtsdestotrotz gewinnen die fünf Staaten wegen ihrer vielfach reichen Rohstoffvorkommen und ihrer geostrategisch günstigen Lage immer mehr an Bedeutung, was die gesamte Region zum „Drehkreuz der Großmächte des 21. Jahrhunderts“ macht: Welt- und Regionalmächte wie Russland, die USA und China kämpfen dort seit einiger Zeit um Macht und Einfluss sowie Ressourcensicherung. Dieses Ringen wird in wissenschaftlichen Abhandlungen mit dem „Great Game“ des 19. Jahrhunderts verglichen, als in der zentralasiatischen Region ein Wettstreit zwischen dem russischen Zarenreich und dem British Empire ausgetragen wurde. Zu diesem neuen Spiel der Großmächte gesellt sich nun die Europäische Union, indem sie der zentralasiatischen Region im Rahmen ihrer erweiterten „Ostinitiativen“eine besondere Bedeutung beimisst und zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten anbietet. Die Verfasserin geht auf Grundlage eines außerordentlich breiten Quellen- und Datenmaterials der Frage nach, welche Rolle die Europäische Union in dieser von allen Seiten umkämpften Region einnehmen könnte. Welche Interessen verbergen sich hinter ihrer Zentralasienstrategie? Ein geostrategisch-energiepolitisches Interesse, das die Union als einen weiteren Spieler des „neuen Great Game“ entlarven würde? Oder will die EU im Gegensatz zu den mit mehr Machtfülle und mit politischen Instrumenten bzw. Druckmitteln besser ausgestatten Akteuren, Russland, USA und China primär zur Verbesserung der Lebensverhältnisse der Zentralasiaten und zum Aufschwung ihrer Wirtschaft beitragen? Wenn sie, wie sie vorgibt, ein „ehrlicher Makler“ ohne territoriale und Machtansprüche ist, der nur an der Entwicklung stabiler, an europäischen Grundwerten orientierter Gesellschaften interessiert ist, wie kann sie in Anbetracht erfolgloser Versuche der „westlichen Demokratieverpflanzung“ und einer tief sitzenden „Reformresistenz“ der zentralasiatischen Elite ihre Ziele durchsetzen? Wie werden diese verstärkte Zuwendung und die Hilfestellungen der EU von den zentralasiatischen Ländern geschätzt, wahr- und angenommen? Haben die jungen Staaten Vertrauen in eine neue Chance zur Befreiung aus der traditionellen Rolle des Machtobjektes oder trifft die EU auf Misstrauen und Widerstand und muss für sich Nischen suchen, wo sie ohne große Hindernisse und Konkurrenz nachhaltige Projekte auf die Beine stellen kann? In Anbetracht der existierenden Bedingungen und der daraus resultuierenden politischen Interventionsmöglichkeiten auf der zentralasiatischen Seite sowie in Abgrenzung zu russischen, US-amerikanischen und chinesischen Politikmustern versucht die Autorin für die Europäische Union ein eigenständiges Profil des politischen Engagements in der Region herauszuarbeiten: Rechts- und Verwaltungsreformen zu implementieren, menschenrechtliche Standards entwickeln zu helfen, der zentralen Kategorie Bildung zu mehr Bedeutung zu verhelfen und darüber hinaus die Förderung der ökonomischen Entfaltung der Region, auch auf neuen, von anderen Akteuren noch nicht besetzten Gebieten zu betreiben – all das, so die Verfasserin abschließend, lasse darauf hoffen, dass die EU sich, nach schleppenden Anfängen und Jahrzehnten weitgehender Passivität, mit ihrer Zentralasienstrategie anschicke, in der geostrategisch, sicherheitspolitisch und ökonomisch bedeutenden Region, nicht zu einem weiteren Rivalen, sondern zu einem neuen Partner zu werden.