Ein neuer Blick auf die Wirklichkeit
Zum Neophantastischen im Werk von César Aira
Stefanie Heise
César Aira ist kein Autor, der gefallen will. Literatur in seinem Sinne soll weder ästhetisch ansprechend noch unterhaltsam oder lehrreich sein, sie soll vor allem eines: mit Konventionen brechen und Neues schaffen. Seine Werke sind eine spielerische Mischung verschiedener Genres und Textgattungen und damit immer auch ein Spiel mit den Lesererwartungen. Sie sind kleine sprachliche Experimente, die für die Leser meist mehr Fragen als Antworten bereithalten und in denen offenbar alles erlaubt ist, außer auf alte und bereits erprobte Muster zurückzugreifen.
Diese Arbeit schlägt eine Brücke zwischen Airas Werk und dem Neophantastischen, indem drei repräsentative Texte des argentinischen Autors – Los fantasmas, El pequeño monje budista und El mago – analysiert und zu Jaime Alazrakis Theorie der Neophantastik in Bezug gesetzt werden. Alazraki begreift das Neophantastische als Ausdruck eines neuen, offenen Weltbildes, das die simple Trennung zwischen Rationalem und Irrationalem nicht mehr kennt und das stattdessen eine Vielzahl scheinbar widersprüchlicher Perspektiven und Erklärungsansätze zulässt. Vor diesem Hintergrund erhalten auch die zahlreichen logischen Brüche und die oft irritierend wirkende Vermengung von realistischem und antirealistischem Schreiben in Airas Texten eine neue Bedeutsamkeit. Durch die hier vorgeschlagene neophantastische Lesart der Aira’schen Werke wird diesen eine neue Dimension hinzugefügt, indem die gezielte Unkonventionalität seines Schreibens nicht mehr als rein ästhetisches Phänomen betrachtet wird, das aus der Abneigung gegen literarische Konventionen entstand, sondern darüber hinaus auch als Ausdruck einer unkonventionellen Weltsicht.