Ein Verfahren zur Messung der Fahrsicherheit im Realverkehr entwickelt am Begleitenten Fahren
Margrit O Glaser, Wilhelm R Glaser, Dorothee Schmid, Horst Waschulewski
BASt M 235
Ein Verfahren zur Messung der Fahrsicherheit im Realverkehr entwickelt am Begleiteten Fahren
W. R. Glaser, H. Waschulewski, M. O. Glaser, D. Schmid
60 S., 59 Abb., 24 Tab., ISBN 978-3-95606-008-3, 2013, EUR 15,50
Im modernen Kraftfahrzeug werden die Fahr- und Bedienungsdaten elektronisch gemessen und über Bussysteme (z. B. CAN – Controller Area Network) Effektoren und Rechnereinheiten zugeführt. Mit geeigneten Datengrabbern können sie entnommen und gespeichert werden. Mit einem entsprechend ausgestatteten Messfahrzeug können damit auf Versuchsfahrten elektronische Daten zur Messung der Verkehrssicherheit gewonnen werden.
Die Aufgabe des vorliegenden Projekts war es, die Auswirkungen des Begleiteten Fahrens auf die Fahrsicherheit der Fahranfänger standardisiert zu bewerten. Sie bestand aus drei Teilen: die Festlegung und Dokumentation einer standardisierten Fahrstrecke im öffentlichen Straßenverkehr, die Gewinnung eines Referenzdatensatzes für die Fahrprobe mit 40 Personen und die Entwicklung eines psychometrischen Tests für Fahrsicherheit anhand dieser Fahrprobe.
Im ersten Teil wurde eine Fahrstrecke ausgewählt, die folgende Anforderungen erfüllte: Fahrdauer ungefähr 90 Minuten, Fahrzeit und Streckenlänge mit etwa gleichen Zeitanteilen Innerorts, Landstraße und Autobahn und mit für die Zielgruppe repräsentativen Fahraufgaben in ausreichender Anzahl (z. B. Linksabbiegen, „rechts vor links“-Regelung).
Im zweiten Teil wurde mit einer Fahrprobe an 40 Vpn ein Referenzdatensatz für die standardisierte Strecke gewonnen. Von den Vpn waren 26 zwischen 18 und 22 Jahren alt, davon 17 mit und 9 ohne früheres Begleitetes Fahren. Das Alter der übrigen 14 Vpn lag zwischen 23 und 50 Jahren, alle ohne Erfahrung mit Begleitetem Fahren.
Der dritte Teil galt der Zusammenstellung schon bekannter Bausteine zu einem Test zur Erfassung der Fahrsicherheit anhand einer Fahrprobe. Elektronisch gemessen wurden 11 Variablen (z. B. Überschreitung der Höchstgeschwindigkeit, Abstand zum Vorausfahrzeug, Zeit bis Kollision) sowie mit Vl-Tastendruck registrierte Fahrfehler. Die Vp bearbeitete die Rating Scale for Mental Effort (RSME; EILERS, NACHREINER und HÄNECKE, 1986). Einfache statistische Auswertungen dieser Variablen liefern noch kein psychodiagnostisches Messinstrument für Fahrsicherheit. Deshalb wurde das von den Auftragnehmern bereits früher publizierte System I-TSA (INVENT – Traffic Safety Assessment; W. R. GLASER, WASCHULEWSKI und SCHMID, 2005) aufgegriffen, verbessert und in der Software anwendungsfreundlicher gestaltet. Mittels einer Faktorenanalyse wurden acht durch Häufigkeitstransformation normalisierte, auf den Mittelwert 100 und die Standardabweichung 10 standardisierte Skalen für Komponenten der Fahrsicherheit gefunden: 1 Geschwindigkeit, 2 Fahrbeschleunigung, 3 Längsabstand, 4 Spurhaltung, 5 Blinker, 6 Lenkbewegungen, 7 Mentale Beanspruchung (RSME), 8 Fahrfehler Versuchsleiter-Tasten.
Neben elektronisch gewonnenen Daten wurden Papier-Bleistift-Tests eingesetzt, um auf herkömmliche Weise erhobene Resultate mit den elektronischen vergleichen und bei Fehlen eines Messfahrzeugs auch bisherige Methoden auf die standardisierte Fahrstrecke anwenden zu können. Die Vp füllte einen aus 47 Items bestehenden Fragebogen zum Fahrerleben aus, der auch die 20 Items des Technik-/Risiko-Fragebogens von BR. FÄRBER und BE. FÄRBER (2003) enthielt. Eine Faktorenanalyse lieferte die fünf Skalen „Ängstlichkeit und Furcht vor Überlastung oder Überforderung“, „Freude am Fahren“, „Begeisterung für die Technik“, „Selbstbewusstsein und Selbstsicherheit als Fahrer(in)“ sowie „Norm- und Regelorientierung“.
Nach Ende der Fahrprobe beurteilte der Versuchsleiter anhand einer gängigen Fahrfehlerliste mit 33 Items die Beeinträchtigung der Fahrsicherheit. Die 33 Bewertungen wurden zu einem einzigen Sicherheitsscore zusammengezogen. Es folgte ein Sicherheitsrating für 9 eher allgemeine, charakteristische Verhaltensweisen wie Geschwindigkeitswahl oder Überholen. Diese 9 Sicherheitsratings lieferten in einer Faktorenanalyse zwei gut als Fehler (Error) und als Schnitzer (Lapse) im Sinne des DBQ (Driver Behaviour Questionnaire; REASON, MANSTEAD, STRADLING, BAXTER und CAMPBELL, 1990) interpretierbare Skalen. Schließlich beurteilte der Vl den Fahrstil in einem semantischen Differential mit 11 Adjektivpaaren wie rücksichtsvoll – rücksichtslos oder aggressiv – defensiv. Dieses ergab ebenfalls zwei faktorenanalytisch begründbare Skalen: „Anspannung“ und „Angepasstheit“ beim Fahren. Insgesamt wurden also 8 I-TSA-, 5 Fahrerlebens- und 5 Versuchsleiter-Beurteilungsskalen aufgestellt. Diese 18 Skalen bilden zusammen einen standardisierten Test, der ein aussagekräftiges Profil der Fahrsicherheit für jeden Pbn liefert. Die meisten davon sind mit Cronbachs a > 0,8 sehr reliabel.
Die Faktorenanalyse über die 18 Skalen des gesamten Tests erklärt 75,8 % der Gesamtvarianz mit zwei starken und vier mäßig ausgeprägten Faktoren. Der Test misst also ein sechsdimensionales Konstrukt der Fahrsicherheit. Faktor 1 fasst alle beobachteten und beurteilten Fahrfehler zusammen. Faktor 2 konzentriert sich auf den Fahrerlebensbogen, ergänzt um die mit der RSME selbst eingeschätzte mentale Beanspruchung. Faktor 3 gibt die elektronisch erfassten Fahrdynamikskalen I-TSA 1 bis 3 wieder. Die weiteren drei Faktoren bleiben Einzelrestfaktoren für „Norm- und Regelorientierung und Blinken“, „Spurhaltung und Lenkbewegungen“ sowie „Begeisterung für die Technik“.
Ein Planversuch für Gruppenunterschiede war nicht intendiert und wäre auch über den Rahmen dieses Projektes hinausgegangen. Die Daten ließen sich jedoch als Ex-Post-facto-Experiment für die gegebene Stichprobe auswerten. Dabei zeigte sich, dass der Test zwar nicht zwischen den Geschlechtern und den hier einbezogenen Altersgruppen diskriminierte. Vpn mit und ohne Begleitetes Fahren konnte er aber in der logistischen Regression fehlerfrei unterscheiden, der F-Test auf multivariate Mittelwertsunterschiede erreichte die einseitige Signifikanzgrenze.