Eine Marienerscheinung in Zeiten der Diktatur
Der Konflikt um Peñablanca, Chile: Religion und Manipulation unter Pinochet
Oliver Grasmück
Im Katholizismus gehören ‛Marienerscheinungen’ zu den prominentesten Fällen außeralltäglichen Wahrnehmens. Im 19. Jahrhundert taucht ein neuer Typus auf. Die als ‛reale Anwesenheit’ geglaubte Erscheinung tritt in die ‛Öffentlichkeit’ und verbindet sich mit der Vermittlung von ‛Botschaften’. Ein prominenter Fall der jüngsten Vergangenheit ist die Marienerscheinung von Peñablanca, Chile, bei Valparaíso. Im Juni 1983, dem ersten Krisenjahr der Pinochet-Diktatur, berichtete ein siebzehn Jahre alter Junge über eine Vision. Im August schrieb erstmals die Presse darüber. Innerhalb weniger Wochen mit immer neuen Erscheinungen entwickelte sich ein Medien- und Massenereignis mit teils mehreren 10.000 Pilgern. Brisanz erlangte der Fall, als während der kirchlichen Untersuchung Vorwürfe laut wurden, die Militärregierung sei in die Vorgänge verstrickt. Diese historisch nicht voll klärbare ‛Manipulationshypothese’ bestimmte in der Folge die öffentliche Diskussion. Die Amtskirche kam zu einem ablehnenden Urteil. Dementgegen bildete sich ein Verein engagierter katholischer Laien, die in Peñablanca einen bis heute existierenden Kultort gestalteten. Eben diesen historischen Vorgang ‛Marienerscheinung’ und dessen soziale Akteure nimmt die vorliegende Studie religionswissenschaftlich in den Blick.