Eine Poetik der Offenbarung
Isaak Babel', Bruno Schulz, Danilo Kis
Jörg Schulte
Kann ein Werk der weltlichen Literatur auf jene Weise gelesen werden, auf die Rabbiner in den Kommentaren von Talmud und Midrasch den Text der Torah lesen und auslegen? Auf diese Frage antwortet die Studie, indem sie zunächst anhand eines Talmudabschnitts (Eruvim 54b) die Besonderheiten rabbinischer Lektüre zeigt. Aus dem Werk von Emmanuel Lévinas gewinnt sie jene Termini, die Verfahren der rabbinischen Exegese in die der griechischen Tradition verpflichteten Sprache der Philosophie bzw. der Poetik übertragbar machen. Mit ihnen wird der Unterschied zwischen „rabbinischer“ und „griechischer“ Lektüre fassbar. Auf „rabbinische“ Weise werden in drei eigenständigen Kapiteln die Werke von Isaak Babel’, Bruno Schulz und Danilo Kiš gelesen. Im Werk von Isaak Babel’ weisen rabbinische Verfahren auf das äußerst vielfältig verborgene Mythologem des christlichen Täufers (das Kapitel beschließt ein ikonologischer Exkurs über die nicht erforschte hermetische Interpretation Johannes des Täufers), während sie in Bruno Schulz’ Zyklen Zimtläden und Sanatorium zur Klepsydra eine auf der jüdischen Zeitrechnung beruhende kalendarische Struktur offenlegen. Danilo Kiš Roman Garten, Asche. schließlich wird als eine Neuschaffung dieser Komposition gelesen, die gleichsam einen verborgenen Kommentar zu Bruno Schulz’ Zyklen bildet.