Einführung in die Neurophysiologie
Heinz Roedel
Die Strukturelemente des Nervensystems bilden die Nervenzellen, auch Neuronen genannt und die Ihnen zugeordneten Bindegewebszellen, die Gliazellen. Ihre Zusammenarbeit verleiht dem Organismus seine mannigfaltigen Aktivitäten. Es wird angenommen, dass das menschliche Nervensystem aus circa 1011 (100 Milliarden) Neuronen und ebenso vielen Gliazellen besteht, ungefähr die gleiche Zahl, wie Sterne in unserer Galaxie, der Milchstraße vorhanden sind. Dabei sind keine zwei Neuronen in ihrer Form identisch.
Am stärksten sind die Neuronen im Zentralnervensystem (ZNS), speziell im Gehirn konzentriert. Jeder Kubikmillimeter der menschlichen Großhirnrinde enthält rund 4·104 (40 Tausend) Neuronen, die über Kontaktstellen – Synapsen – miteinander „verkabelt“ sind. Manche Neuronen besitzen bis zu 104 solcher synaptischer Kontakte. Insgesamt fügen sich die 8,6·1010 Neuronen des Gehirns über mehrere 1014 Synapsen zu einem unvorstellbar komplexen Netzwerk zusammen. In ihm sind sämtliche Leistungen des Gehirns eingewoben (C.E. Sagan: „Zauberwebstuhl“). Seine funktio-nelle Architektur ist in Grundzügen genetisch vorgegeben, wird jedoch in Details erst nach der Geburt – durch Lernen an der realen Welt – endgültig ausgeprägt. „Das Gehirn ist die Bühne, auf der das Welt-Theater stattfindet“. Was als wirklich empfunden wird, muss gar nicht wirklich erlebt sein. Was wir von der Welt bewusst wahrnehmen, entsteht erst im Gehirn. Mit jeder Erfahrung, die unser Gehirn dazugewinnt, nimmt es die Welt anders wahr. Unser Bild von der Welt hängt also nicht nur von der Welt, sondern auch vom jeweiligen Gehirn ab.
Das Gehirn ist deshalb so schwer durchschaubar und verstehbar, weil es – anders als sein vorgebliches elektronisches Pendant, der Computer – nicht für wohlüberlegte Zwecke oder nach durchdachten Prinzipien entworfen worden ist. Verantwortlich für seine Konstruktion ist vielmehr die natürliche Auslese, der Motor der Evolution alles Lebendigen. Das menschliche Gehirn ist das komplizierteste Organ, das die Evolution bislang hervorgebracht hat, und wohl das komplizierteste stoffliche Gebilde im Universum überhaupt. Die Entwicklung des menschlichen Gehirns begann schon vor vielen 100 Millionen Jahren mit der „Erfindung“ der ersten sehr einfachen Nerven-systeme wie man sie heute noch bei den Weichtieren oder Würmern findet. Das Gehirn der Insekten enthält 105 – 106 Neuronen (das Gehirn der Honigbiene wiegt nur ein Milligramm und hat knapp eine Million Neuronen), dagegen finden sich bei höheren Wirbeltieren um mehrere Zehnerpotenzen höhere Werte. Im Cortex von Katzen befinden sich 2,5·108 Neuronen. Im Cortex von Hunden befinden sich 5,3·108 Neuronen. Im Cortex von Schimpansen befinden sich 5,5·109 Neuronen.