Erzählende Vernunft
Günter Frank, Anja Hallacker, Sebastian Lalla
philosophie, die sich als Disziplin rationaler Argumentation versteht, tut sich heutzutage mit Erzählungen schwer, weil Erzählen ein dezidiert von jeder formalen Logik abweichendes Konzept der Repräsentation darstellt. Dabei gibt es eine reichhaltige Tradition, in der die enge Verbindung von Geschichte und Geschichten sowohl als produktives Element philosophischer Reflexion als auch als strukturierendes Konzept historischer Selbstbezeugung dient. Das Paradigma der Erzählung stiftet durch seine Geschlossenheit, die dem Faktischen immer an antizipierter Einheit und Ganzheit voraus liegt, die Möglichkeit, unverfügbare Geschehen zu interpretieren. Die Bewältigung einer lebenswirklichen Gesamtheit wird dadurch rational erfassbar und lässt sich verwalten. Zum anderen ist die Perspektive einer erzählten Vernunft die Frage nach dem Sinn einer Wirklichkeit, die von sich aus keinen Sinn preisgibt. Indem Philosophie erzählt, öffnet sie hermeneutisch eine Tür zum Verständnis von Wirklichkeit und ihrer selbst. Hermeneutik ist dann vor allem die Darstellung der immanenten Momente eines Sinnes, der im Nachvollzug seiner Darstellung erst zur Erscheinung gebracht werden kann.