Fortentwicklung und Bereitstellung eines bundeseinheitlichen Simulationsmodells für Bundesautobahnen
Werner Brilon, Kai Erlemann, Jochen Harding, Stefan Seifarth
Die Anwendung mikroskopischer Simulationsmodelle zur Lösung verkehrtechnischer und planerischer Fragestellungen ist heute Stand der Technik. Auf dem deutschen und internationalen Markt steht eine Reihe leistungsfähiger Programme zur Verfügung, die jedoch den Nachteil haben, dass sie nicht ausreichend dokumentiert sind und der zugrunde liegende Quellcode aufgrund kommerzieller Zwänge der Anbieter nicht zugänglich ist. Keines der Modelle verfügt über einen nachprüfbaren Nachweis der Realitätstreue. Hinzu kommt, dass bis auf die Gruppe der Zellularautomaten keines der Programme in der Lage ist, Phänomene wie den „Stau aus dem Nichts“ nachbilden zu können. Gegenstand der Forschungsarbeit ist daher die Entwicklung und Bereitstellung eines Simulationsmodells, mit dem die Ziele einer verstärkten Anwendung der mikroskopischen Simulation sowie der Überwindung der Nachteile bisher bekannter Simulationsprogramme erreicht werden sollen.
Der vorliegende Forschungsbericht enthält die theoretischen Grundlagen der mikroskopischen Verkehrsmodellierung. Insgesamt sechs theoretische Modelle für das Abstandsverhalten werden eingehend erläutert. Hinzu kommt eine ausführliche Beschreibung der Verhaltensmodelle für den Fahrstreifenwechsel, wobei zwischen der gleichförmigen Strecke und den Bereichen von Anschlussstellen unterschieden wird.
Zur Neukalibrierung und Weiterentwicklung eines der Abstandsmodelle wurden im Rahmen der Forschungsarbeit Messungen im fließenden Verkehr durchgeführt. Mit zwei getrennten Messreihen wurde das Abstandsverhalten nachfolgender Fahrzeuge und verschiedener Testfahrer untersucht. Die Auswertung der Messungen wurde unmittelbar für die Überprüfung und mikroskopische Kalibrierung des Modells der Fahrzeugfolgetheorie herangezogen. Der Einfluss der Motorisierung auf das Abstandsverhalten wurde ebenfalls untersucht, ein unmittelbarer Zusammenhang konnte aber – nicht zuletzt aufgrund der geringen Stichprobe – nicht nachgewiesen werden.
Insgesamt wurden vier verschiedene, untereinander austauschbare Modelle für das Abstandsverhalten in dem neu entwickelten Programm umgesetzt. Besonderes Augenmerk galt dabei einer Erweiterung der Abstandsmodelle zur Nachahmung der teilweise in der Realität zu beobachtenden zögerlichen Fahrweise. Dank dieser Modifikation kann zumindest mit einem der im Programm umgesetzten Modelle ein Verkehrszusammenbruch durch Überlastung auf einer gleichförmigen Strecke mit dem Programm nachgebildet werden.
Bei der Programmentwicklung wurde besonderer Wert auf ein hohes Maß an Benutzerfreundlichkeit und die praktische Anwendbarkeit gelegt. Dazu wurde ein grafischer Streckeneditor geschaffen, der eine interaktive und unkomplizierte Netzerzeugung ermöglicht. Selbsterklärende Werkzeuge und menügesteuerte Eingaben erleichtern die Bedienung des Programms. Neben der zweidimensionalen Visualisierung der Simulationsabläufe wurde auch eine dreidimensionale Ansicht implementiert, mit der für Präsentationszwecke eindrucksvolle Animationen im Videoformat erzeugt werden können.
Mit dem neu entwickelten Programm wird ein leistungsfähiges, mikroskopisches Simulationsmodell für den Verkehr auf Autobahnen bereitgestellt, für das sich Anwendungsmöglichkeiten sowohl bei der Entwurfsplanung als auch bei Fragestellungen des laufenden Betriebs bieten. Zugleich ermöglicht der modulare und objektorientierte Aufbau des Programms auch eine Erweiterbarkeit, die sich sowohl auf die Funktionalität als auch auf die Einbindung neuer Verhaltensmodelle bezieht.