Franz Lehár oder das schlechte Gewissen der leichten Musik
Stefan Frey
Franz Lehár (1870-1948), der innerhalb seiner Lebensgrenzen am meistenaufgeführte Komponist aller Zeiten, stellt als scheinbarer Anachronismusnoch immer ein unbewältigtes Kapitel der Musikgeschichte dar. Als Komponistan der Schwelle zur Massenkultur gewinnt er gerade im Kontrast zurradikalen Moderne Bedeutung. Zerfällt Musik bereits zu Beginn seinerLaufbahn in zwei Sphären (U- und E-Musik), versucht Lehár zwischen beidenzu vermitteln. Noch im berüchtigten Spätwerk der zwanziger Jahre behaupteter jene Mitte, deren Verlust die Geschichte des Jahrhunderts so nachhaltigprägte. Die kultursoziologische Dimension der Operette Lehárs als negativesPhänomen der Moderne erschließt sich bei näherer Analyse des Oeuvres.Anhand exemplarischer Werke der früheren Salon- (z.B. „Die Lustige Witwe“)sowie der späteren Lyrischen Operette (z.B. „Das Land des Lächelns“), vorallem aber des „Graf von Luxemburg“, läßt sich die Entwicklung vonMusikdramaturgie, Rezeption und Sujet und ihre gegenseitige Durchdringungnachvollziehen. Nicht ihre ästhetische Bewertung steht zur Debatte, sondernihr historischer Gehalt. Ist, nach Adorno, „die leichte Kunst dasgesellschaftlich schlechte Gewissen der ernsten“, so wäre Lehárs Operetteals ästhetisch schlechtes Gewissen der leichten Musik ernstgenommen, fürWissenschaft und Bühne neu zu entdecken.