Gefürchtete Begegnungen
Kritik der »negativen therapeutischen Reaktion« und klinisch-konzeptionelle Perspektiven
Gerd Schmithüsen
Es geht darum, die sogenannte »negative therapeutische Reaktion«, die als ein den psychoanalytischen Prozess in Frage stellendes und zerstörendes Phänomen diskutiert wird, einer kritischen Betrachtung, Würdigung und Revision im Sinne einer Neukonzeptualisierung zugänglich zu machen. Denn die »negative therapeutische Reaktion« hat eine durchaus »positive«, kommunikative Seite, wenn sie denn verstanden wird.
Schmithüsen untersucht die subtile, äußerst schwierig zu fassende Annäherungs- und Rückzugsdynamik von Patient und Psychotherapeut anhand ausführlicher Fallgeschichten und gibt eine gut begründete Neukonzeption für die Behandlungstechnik.
Der Begriff der »negativen therapeutischen Reaktion« schiebt die »Verantwortung« für das Phänomen einer Verschlechterung des therapeutischen Prozesses ausschließlich dem Patienten zu. Was in dieser Perspektive nicht in den Blick gerät, ist, dass es sich bei der »negativen therapeutischen Reaktion« um einen entgleisenden therapeutischen Dialog handelt. Mit anderen Worten, dass die »negative therapeutische Reaktion« Folge eines komplexen und durchaus notwendigen Zusammenspiels von Psychotherapeut und Patient ist. Nämlich eine hoch komplexe, scheinbar zur gleichen Zeit stattfindende Annäherungs- und Rückzugsdynamik, die sich zwischen den beiden Protagonisten inszeniert. Die für einen therapeutischen Fortschritt notwendige emotionale Annäherungsbewegung zwischen Patient und Psychotherapeut ist unbewusst derart bedrohlich, dass ein Rückzug – oft von beiden – eingeleitet werden muss, der dann als »negative therapeutische Reaktion«, d. h. destruktiv, missverstanden wird.