Geschichte der Türkei
Andreas Pittler
1923 rief Kemal Atatürk die türkische Republik aus und setzte damit einen Schlusspunkt unter die rund 600-jährige Geschichte des Osmanischen Reiches. Auf dessen Resten formte er aus einer religiös und bäuerlich geprägten Gesellschaft die Grundlagen für eine moderne Industrienation. Auf laizistischer Basis wurden islamische Traditionen aus dem öffentlichen Leben verbannt und die lateinische Schrift eingeführt, während der islamische Universalismus einem türkischen Nationalismus wich. Die Türkei etablierte sich als Regionalmacht, die jedoch stets an inneren Widersprüchen litt. Mehrmals putschte das Militär, mal gegen rechts, vor allem aber gegen links. Die einst allmächtige Republikanische Volkspartei (CHP) verlor an Legitimation, was neo-islamischen Kräften einen ungeahnten Aufstieg ermöglichte. Mehr als zwei Jahrzehnte lang stand das Land im Bann eines Präsidenten, der gegen politische Gegner mit aller Härte vorging und die geopolitische Gemengelage geschickt auszunützen verstand. Im hundertsten Jahr der Türkei zeigt sich, ob die säkularen Kräfte verlorenes Terrain gutmachen können oder das Land weiter in eine religiös konnotierte Despotie abgleitet.