Giessen
Ein Lesebuch
Diethard H Klein
„Man hält dafür, dass schon zu St. Elisabeth Zeiten Gießen eine Stadt gewest“ – das weiß Martin Zeiller zu berichten, der die Texte zu jenen umfangreichen Sammelbänden schrieb, die bekannt wurden und dem Namen des Verlegers und Kupferstechers Matthäus Merian (der die Illustrationen dazu beisteuerte); 1655 erschien die „Topographia Hassiae“, in der über Gießen – neben einem besonderen Lob der dort herrschenden guten Luft – Obiges zu lesen steht und aus der wir die Passagen über die Lahnstadt zitieren. 1824 ist dann für das „Conversations-Lexicon“, auch „Allgemeine deutsche Real-Encyclopädie für die gebildeten Stände“ genannt, „Gießen, Hauptstadt des großherzoglich hessischen Fürstenthums Oberhessens, an der Lahn, mit etwa 5200 Einwohnern, merkwürdig durch die Universität, welche daselbst nach erhaltener kaiserlicher Erlaubniß der hessen-darmstädtische Landgraf den siebten October 1607 gestiftet hat.“ So manches Lob über die alte Stadt an der Lahn ist hier zusammengetragen worden, wenn es auch nicht so leicht war wie bei anderen Städten, bei denen oft die Hauptschwierigkeit darin bestand, aus der Fülle von Dichterstimmen die richtige Auswahl zu treffen. Denn „der Vaterlandsstädte ländlichschönste“ hat Hölderlin nun einmal nicht Gießen genannt, sondern eben Heidelberg – aber Goethe wenigstens können wir zitieren, der sich in „Dichtung und Wahrheit“ amüsant über einen Besuch in Gießen bei dem seinerzeit hochgeschätzten Professor Höpfner äußert. Und dann ist Werner Beergengruen da, für den Gießen eine „urhessische Stadt“ war, Henry Benrath mit seinem Stimmungsbild aus einer großbürgerlichen Gießener Familie, Georg Büchner, Kasimir Edschmid, August Heinrich Hoffmann von Fallersleben und Friedrich Maximilian Klinger, dessen in Gießen entstandenes Drama „Sturm und Drang“ einer ganzen Literaturepoche den Namen gegeben hat. Zitate bekannter Schriftsteller aber manchen nur einen geringen Teil der Beiträge dieses Bandes aus, in dem es ja darum ging, ein Bild Gießens in alter und neuer Zeit zu entwerfen, wobei neben Schlaglichtern auf die Entwicklung der Stadt auch ihre typische Atmosphäre in bestimmten Zeitabschnitten zur Geltung kommen sollte. Daher schließen sich an das Einleitungskapitel, dessen Texten wir entnehmen können, was im siebzehnten und achtzehnten, aber auch neunzehnten und zwanzigsten Jahrhundert jeweils über die Stadt berichtenswert schien, die „Stimmen kritischer Besucher“, die etwa (worüber sich heute sicher mancher freuen würde) feststellen, „daß die Stadt wenig Verkehr hat“ oder auch die engen Straßen beklagen (wie heute wohl auch so mancher Autofahrer), aber doch auch wieder lobend hervorheben, man könne dort „mit wenigem sehr angenehm leben“ und es sei „eine recht wohl gebaute Stadt“. Wie es früher in Gießen aussah, welche Sehenswürdigkeiten sich den Besuchern präsentierten bzw. bis heute erhalten blieben (wobei zum Beispiel in unseren Tagen es Heinrich Bitsch positiv bewertet, dass man „den Gast nicht mit vulgärer Touristenkost füttern und für Postkartengrüße vergewaltigen“ müsse), kann der Leser einem gesonderten Kapitel entnehmen, und ein anderes ist überschrieben mit „Stimmungsbilder und Erinnerungen“; hier kommen dann insbesondere die heimischen Autoren zur Wort wie Hans Otto Becker, Ludwig Geil, Werner Bock, Karl Brodhäcker, Otto Buchner, Ernst Eckstein, Georg Edward, Kurt Heinze, Hans Joachim leidel oder Hans Thyriot.