Grenz- und Raumkonstellationen – Eine Untersuchung am Beispiel von Yoko Tawadas Talisman
Christiane Schaeffler
Die Werke der seit Ende der achtziger Jahre auch in deutscher Sprache publizierenden japanisch-deutschen Schriftstellerin Yoko Tawada sind in der literaturwissenschaftlichen Forschung weit rezipiert und unter der Flagge der Interkulturalität und der Migrationsliteratur besprochen worden. Doch Forschungsergebnisse zeigen, dass diese Kategorien ausgeschöpft und – wenn extensiv angewendet – für das Erfassen von Tawadas einzigartigem Sprachgestus‘ unzulänglich sind. Produktiver sind grenz- und insbesondere raumtheoretische Konzepte, die ihren Ursprung in der transdisziplinären Raumdebatte haben. Deshalb verfolgt die Untersuchung das Ziel, Yoko Tawadas 1996 erschienene Kurzgeschichtensammlung Talisman einer Neubetrachtung zu unterziehen, die sich auf grenz- und raumtheoretische Konzepte und spezifisch auf Jurij Lotmans Sujet-Theorie und sein Semiosphären-Modell stützt. Ermittelt werden mit diesem Analyseansatz die Funktionalität der Kategorien ‚Grenze‘ und ‚Raum‘ und inwiefern diese an der Gestaltung der Diegese beteiligt sind. Die Abhandlung zeigt auf dieser Grundlage, inwiefern die von Lotman festgelegten Grenz- und Raumkonstellationen die globale narrative Struktur des Textes gestalten wie auch weitere narrative Dimensionen des Textes produzieren. Die Ergebnisse dieser Analyse zeigen zudem, dass die literaturwissenschaftliche Raumforschung einen Fundus produktiver Analysekategorien darstellt, die es ermöglichen, die Heterogenität von Räumlichkeit in der Literatur festzuhalten und einen Einblick in die vielseitige und vielschichtige und vor allem in die ästhetische Produktion desselben zu erlangen. Dieser Blickwinkel ermöglicht eine neue ästhetische Lesart von Talisman.