Heimat Schlesien nach 1945
Eine Analyse deutscher, polnischer und tschechischer Prosatexte
Kirsti Dubeck
Heimat‘- wohl kein anderer Begriff der deutschen Sprache hat in seiner Vielschichtigkeit soviel Glorifikation und politischen Missbrauch, soviel Ideologisierung, Kommerzialisierung und auch Ablehnung erfahren. Gerade in Bezug auf Schlesien, einem Land, das, ob nun mehr piastisch, habsburgisch, oder wieder mehr polnisch, immer ‚Schlesien‘ geblieben ist, zu wenig eigen, um einen eigenen Staat zu bilden, aber auch wieder zu sehr, um in einem Staat vollkommen aufzugehen, erfährt ‚Heimat‘ für viele einen ganz besonderen Klang. Dieses Buch spürt diesem Phänomen ausgehend von realgeschichtlichen Gegebenheiten über die Poetik einzelner AutorInnen nach. Die trilateral angelegte, vergleichende Analyse deutscher, polnischer und tschechischer Erzähltexte erfasst Gemeinsamkeiten und Spezifika im Verständnis und der literarischen Gestaltung von ’schlesischer Heimat‘. Dabei betritt die Verfasserin in mehrfacher Hinsicht Neuland: Neben Werken bundesdeutscher Autoren finden auch polnische und tschechische Texte sowie Werke der DDR-Literatur Eingang in die Analysen. Die Betrachtung erstreckt sich auf die Zeit nach 1945 bis in die unmittelbare Gegenwart und bezieht auch das nach wie vor in der deutschen Forschung vollkommen unterrepräsentierte sog. Troppauer sowie das sog. Teschener Schlesien mit ein. Erstmals wird dem deutschsprachigen Leser durch die von der Verfasserin geleistete Übersetzungsarbeit der Zugang zu aktuellen polnischen und tschechischen Forschungsarbeiten wie auch zur schöngeistigen polnischen und tschechischen Literatur dieser Provinienz ermöglicht. Hohe Authentizität gewinnt dieses Buch durch die Einbindung von Autorengesprächen. Ergänzt werden die Textanalysen durch zahlreiche Anmerkungen zu schlesischen Realia, einem umfassenden Literaturverzeichnis sowie Kartenmaterial. Besonders hervorzuheben ist in diesem spannenden, gut lesbaren Buch die Einbindung der DDR-Literatur. Es wird deutlich, dass ‚Schlesien‘ und sein ‚Verlust‘ in der Literatur der DDR durchaus – und nicht zu knapp – präsent waren. Diese Texte nehmen in der Untersuchung eine Art „Zwischenstellung“ ein: Sie weisen bezüglich des historischen (Erlebnis-)Hintergrundes Parallelen zur Gestaltung der ’schlesischen Heimat‘ in der Literatur der Bundesrepublik auf, hinsichtlich des gesellschaftspolitischen Erfahrungsbereiches jedoch eher Konvergenzen zur tschechischen und polnischen Literatur. Das Buch räumt damit auch mit der verbreiteten Ansicht auf, die ‚ehemaligen deutschen Ostgebiete‘ sowie ‚Flucht und Vertreibung‘ wären in der DDR-Literatur nicht thematisiert und in der Literatur der Bundesrepublik erst in jüngster Vergangenheit enttabuisiert und literaturfähig gemacht worden.