Historisch-genetische Theorie der Gesellschaft
Macht - Herrschaft - Gerechtigkeit
Günter Dux
Die Theorie der Gesellschaft muss neu verhandelt werden. Es gibt unseres Wissens keine Theorie, die ihren Bildungsprozess aus der Evolution herausführt, um hernach ihrer Entwicklung in der Geschichte zu folgen. Exakt darum geht es in diesem Band. Möglich ist eine solche Theorie nur, wenn man den Bildungsprozess der Gesellschaft wie ihre Entwicklung historisch-genetisch rekonstruiert. Zugrunde liegt ihr der Erwerb der Handlungskompetenz, formiert hat sich die Gesellschaft über Macht. In der gesellschaftlichen Entwicklung hat Macht sich als Verhängnis erwiesen. Die von ihr bewirkten hierarchischen Strukturen waren in Häuptlingstümern und Big-man-Gesellschaften noch moderat, mit der Ausbildung von Herrschaft und Staat in den frühen Hochkulturen verlieren die der Herrschaft unterworfenen Subjekte Selbstbestimmung und Freiheit. Gerechtigkeit als Widerspruch gegen den Zugriff der Potentaten auf die Lebensformen der Subjekte wurde dadurch unter der Schwelle des Bewusstseins gehalten, dass Herrschaft einem Absoluten am Grunde der Welt zugeschrieben wurde und von Gott verordnet galt. Phasen des Widerstandes wurden durch das Machtpotential der Herrschaft ebenso unterdrückt, wie durch die Logik des Denkens im Ausgang von einem Absoluten. Auch noch in der Antike wurde Gerechtigkeit einem Absoluten zugeschrieben: Geist, der auf die Idee des Guten konvergierte. Nach dem Umbruch der Logik in der Neuzeit richtet sich das Postulat der Gerechtigkeit auf die Organisationsformen der Gesellschaft. Durch sie soll jeder ein Leben führen können, das den Sinnanforderungen der Zeit gerecht wird.
ist Prof. emeritus am Institut für Soziologie der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg.