Historische Landeskunde des Westmünsterlandes 5
Vorwort
Eigentlich hat der Vorstand der GhL auch für den Herbst 2020 – wie immer – eine Jahrestagung mit mehreren Vorträgen zum Thema „Eine schwierige Nachbarschaft – Westmünsterland und Ostniederlande im 20. Jahrhundert“ vorgesehen, die aber corona-bedingt schließlich doch nicht stattfinden konnte.
Sie, verehrte Leserinnen und Leser, merken schon: Wir haben dieses Thema für sehr wichtig gehalten, weil es um Nachbarschaft und Frieden geht. Von den Vorbereitungen für die ausgefallene Tagung ist allerdings nur noch Volker Jakobs spannende Einführung in das Problem übrig geblieben.
Besonderes Interesse verdient aus unserer Sicht der Beitrag von Heinz Krabbe (Epe) über den „Dominee Leendert Overduin“. Dieser niederländische Geistliche (1900-1976) hat während der deutschen Besatzung etwa 1 000 jüdische Menschen vor Verfolgung und Tod bewahrt, seit 1941 zusammen mit Sieg Menko (Enschede). Nach dem Krieg unterstützte er ehemalige NSB-Mitglieder und deren Kinder gegen den Hass ihres Umfelds. Wenn dieses Jahrbuch gedruckt ist, wissen wir, ob die Verschiebung der Tagung und des Themas auf dieses Jahr realisiert werden konnte. Dann sollte eine Führung durch die Ausstellung „75 Jahre Freiheit und Frieden – Grens/zland“ des Nationaal Onderduikmuseum Aalten im Vredener Rathaus auf dem Programm stehen.
Beim Blick ins Inhaltsverzeichnis wird schnell klar, dass in anderen Rubriken das Thema „Deutsch-niederländische Beziehungen“ eine besondere Rolle spielt, etwa in der Biografie des ersten Coesfelder Landrats Dr. Clemens von Bönninghausen (Chr. Schulze Pellengahr) oder im Bericht aus der Dauerausstellung des kult über „Kiepenkerl und Frau Antje. Ein ungleiches Paar im kult Westmünsterland“ (A. Menke).
An dieser Stelle soll der ausführliche Beitrag von Timothy Sodmann in Band 1/2017 dieses Jahrbuchs erwähnt werden. Er beschreibt „Tausend Jahre Zweisamkeit. Kulturhistorische Beziehungen zwischen den östlichen Niederlanden und dem westlichen Münsterland“ und zeichnet sich zudem durch einen reich bebilderten Anhang aus.
Über die Wettbewerbsbeiträge zum Jugendgeschichtspreis der GhL im Jahr 2020 wird in der entsprechenden Rubrik das Nötige gesagt. Es ist für die Redaktion immer aufs Neue eine große Herausforderung, einerseits die Darstellungsweise und Sicht der Jugendlichen weitgehend sichtbar zu halten und andererseits unseren Anspruch auf fachliche Genauigkeit und sachgerechte Darstellung zu wahren. Wir hoffen und glauben, dass die hier vorgelegten Preisarbeiten beiden Vorgaben gerecht werden.
Noch ein Problem hat uns immer wieder beschäftigt: Nicht alles, was für die Menschen im Laufe der Jahrzehnte oder gar Jahrhunderte wichtig war, fand und findet Eingang in die (regional)historische Forschung und Darstellung. Manches gehört zur überregionalen Kultur, manches überwiegend zur regionalen (west)münsterländischen oder überwiegend zur lokalen Kultur.
Gleich vier Beispiele finden sich in dieser Ausgabe: Wenn ein gewisser Bernhard Hinsken (*1864 in Rhade) als Sohn eines Landwirts den Beruf des Volksschullehrers erlernt, dann in Bonn ein Landwirtschaftsstudium absolviert und schließlich als studierter Landwirt Lehrer an der Velener landwirtschaftlichen „Winterschule“ wird und diese seit 1898 leitet und
Fortbildung für die Landwirte der Umgebung organisiert und durchführt, dann darf man das eine Karriere nennen. Wenn derselbe Mann sich zunächst im Borkener Heimat- und Altertumsvereins an archäologischen Forschungen zu den „Landwehren“ beteiligt und bald einen gleichen Verein in Ramsdorf mitgründet, dann wird man ein solches Engagement mehr als erstaunlich finden. (Zur Erinnerung: Der Mobilität waren um 1900 sehr praktische Grenzen gesetzt; das private Reisen war sicher kein Vergnügen.)
Wenn ein katholischer Priester und Studienrat in Borken seit 1939 Briefe an seine (ehemaligen) Schüler in Arbeits- oder Kriegsdienst schickt und darin über seine Wahrnehmungen am 10. Mai 1940 schreibt, dann spiegelt das gewiss nicht den ganzen politischen Horizont des deutschen Überfalls auf die Niederlande wider, aber es beleuchtet eine scheinbar ganz unpolitische Sicht mitten in der – noch nicht direkt betroffenen – Bevölkerung.
Oder wenn ein katholischer Verein wie der Borkener Kolping wenige Jahre später, kurz nach Kriegsende, die eigene Tradition des Theaterspielens wieder aufnimmt, dann steht diese Initiative beispielhaft für eine ganze Reihe von Vereinen in großen und kleinen Orten nicht nur des Münsterlandes. Was heißt es 1946, wieder anzuknüpfen an „früher“? Was geschieht hier über das produktive Miteinander in der (Stadt-)Gesellschaft? Was bedeuten solche Aktivitäten gerade für die jungen Menschen der damaligen Zeit?
Andererseits erarbeitet sich ein begabter junger Mann aus adligen Verhältnissen, Clemens von Bönninghausen (*1785 bei Tubbergen/Niederlande), das Berufsfeld eines Juristen, dann aber auch das Feld der Homöopathe und das der Medizin; „nebenbei“ bekam er 1816 das öffentliche Amt des Landrats angetragen – dank ausreichender Wohnverhältnisse mit einem Büro im eigenen Haus in Darup (aber nur bis 1819), wie im 19. Jahrhundert in Preußen für (adlige) Landräte üblich. Aufgefallen ist der Mann – unvorsichtig geurteilt – wohl eher durch seine Tätigkeit als Homöopath.
Wir sind uns durchaus bewusst, dass in den ersten Bänden unseres Jahrbuchs nur vereinzelt Frauen im Mittelpunkt eines Beitrags stehen. Uns ist klar, dass wir die Suche nach Frauen verstärken müssen, die Bedeutendes geleistet haben. Gezielten Hinweisen unserer Leserinnen und Leser werden wir gern nachgehen.