Hörgeschädigte Kinder und ihre Familien stärken
Erkenntnisse durch Erzählungen
Manfred Hintermair
Die Fachliteratur der letzten Jahrzehnte zeigt, dass neben der Berücksichtigung der behinderungsspezifischen Besonderheiten in der Entwicklung hörgeschädigter Kinder die Stärkung der Kinder und ihrer Familien ein wesentliches Merkmal einer wirksamen pädagogischen Begleitung darstellt. Die pädagogische Arbeit erhält durch eine „Stärkenperspektive“ ein besonderes Anforderungsprofil mit spezifischen Schwerpunkten. Einige davon werden in dem vorliegenden Buch in erzählender Form vorgestellt.
Eine an Stärken orientierte Pädagogik sieht eine ihrer wesentlichen Aufgaben im Anstiften von Empowermentprozessen in der Zusammenarbeit mit Betroffenen. Dadurch wird die Basis gelegt, dass die Eltern wie auch die Kinder ihr Leben selbstbestimmt gestalten können. Ein weiteres wichtiges Moment ist die Unterstützung und Förderung sozialer Beziehungen. Die Stärkung von Beziehungen sowohl der Eltern als auch der Kinder stellt einen wichtigen Begleitschutz dar auf dem Weg zu psychischem Wohlbefinden.
In einer Beratung von Familien hörgeschädigter Kinder, die die Betroffenen stärken will, ist ein an der Lebenswelt der Familien orientiertes Handeln notwendig, da die Kräfte für mögliche Veränderungen vor allem in der Lebenswelt der Familien zu suchen und zu wecken sind.
Wer Kinder stärken will, muss wissen, wie Erziehung und Förderung „wirksam“ werden. Kinder können dabei nicht zu einem bestimmten Verhalten veranlasst werden, sondern Erziehung und Förderung sind als Anregungsangebote zur Selbstsozialisation zu verstehen.
Das gilt auch für die Identitätsarbeit als ganz spezielle Aufgabe im Rahmen der psychosozialen Entwicklung hörgeschädigter Kinder. Kinder brauchen hierfür Unterstützung, damit sie ihr Verhältnis zu sich selbst und zu ihrem Umfeld klären können und so zu einem kohärenten Selbsterleben gelangen können.
Schließlich ist im Rahmen eines stärkeorientierten Ansatzes auch zu klären, was die Inklusionsdiskussionen des letzten Jahrzehnts für die soziale Teilhabe hörgeschädigter Kinder bedeuten. Hier zeigt sich, dass eine ausschließlich förderortbezogene Diskussion zu kurz greift und vielmehr der Blick auf die konkreten Bedürfnisse Betroffener zu richten ist.
Die gewonnenen Erkenntnisse sind ein starkes Plädoyer für eine Pädagogik der Ermöglichung. Diese braucht Vielfalt in den vorgehaltenen Angeboten und den praktizierten pädagogischen Konzepten sowie eine ethische Grundhaltung, die das Individuum in den Mittelpunkt der Betrachtungen stellt und aus dieser Subjektorientierung die Kraft für Entwicklung und Veränderung zieht.