Humanismus des anderen Menschen
Emmanuel Lévinas, Ludwig Wenzler
Die Nähe des Anderen, auf die wir uns verlassen, wenn wir »Du« sagen, ist das von Levinas entdeckte, von der Philosophie stets übergangene Thema, das eigentlich und dringend zu Erfragende, zu Begreifende. Denn der Andere ist uns nicht Gegenstand (wie die Objekte der Wahrnehmung), sondern fremd. Gerade darin liegt die Chance, oder das Rätsel, dessen Lösung möglich sein muss und Hoffnung geben kann; denn die Emanzipation des Subjekts zum Stifter der Einheit von Ich und Welt wurde erkauft um den Preis, dass das Subjekt »frei« wurde, indem es sich als – passive – Einheit, als Resultat der in den intentionalen Akten waltenden transzendentalen Apperzeption begriff.
Levinas weist darauf hin, dass dieser Weg der Emanzipation ein Irrweg ist, der das Ich zerstört und das Böse gebiert.
Die Korrektur liegt darin, dass die Andersheit des anderen Menschen die Falschheit des neuzeitlichen Subjektivismus bezeugt; sie ist da, aber lässt sich nicht als Produkt der Einbildungskraft der passiven Synthesis des intentionalen Aktes begreifen oder erfassen.
Gerade angesichts der Unmenschlichkeit, zu der Menschen fähig sind und die sie einander insbesondere in diesem Jahrhundert angetan haben. erhebt sich um so dringlicher die Forderung, für den Menschen eine Identität und eine Orientierung zu entdecken. Die Frage: Was ist der Mensch? bleibt die Grundfrage allen Philosophierens.